
Projektleitung: | Univ.-Prof. Dr. Anton Pelinka | |
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Durchführung: | Dr. Guenther Steiner | |
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Finanzierung: | Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger | |
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Fertigstellung: | Dezember 2011 |
Aus Anlass des 30. Todestages des ehemaligen Sozialministers (1945 – 1956) und Präsidenten der Arbeiterkammer Wien und des Österreichischen Arbeiterkammertages (1956 – 1964) Karl Maisel gab der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger eine Studie in Auftrag, die die Rolle und Bedeutung Maisels für den Wiederaufbau der Sozialpolitik, im Speziellen der Sozialversicherung, in den ersten beiden Jahrzehnten der Zweiten Republik darstellt und analysiert. Die Studie steht methodologisch an der Schnittstelle der Politik- und Geschichtswissenschaft.
Zentrales Kapitel ist jenes Karl Maisels als Sozialminister von 1945 bis 1956. In diesen Jahren entstanden wesentliche Fundamente der österreichischen Sozialgesetzgebung der Zweiten Republik wie – allen voran – das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) 1955, zuvor das Sozialversicherungs-Überleitungsgesetz (SV-ÜG) 1947, das Kollektivvertragsgesetz, das Betriebsrätegesetz (beide 1947), die Maisel als Sozialminister wesentlich mitbeeinflusst hat. Sein Amt in der Regierung war dabei wesentlich bedingt und beeinflusst von seiner Stellung als stellvertretender Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und Vorsitzender der mitgliederstärksten Gewerkschaft, jener der Metall- und Bergarbeiter, und schließlich als Vorsitzender der Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter im ÖGB.
Karl Maisel kam aus ärmlichen Verhältnissen des Wiener Arbeitermilieus. Er war geprägt durch gewerkschaftliches Engagement seit Jugendtagen. Er hat dadurch die Arbeiterschaft an der Basis ebenso kennengelernt, wie er die Verfolgung der Arbeiterbewegung in der späten Monarchie sowie im Ständestaat und Nationalsozialismus und den Widerstand gegen sozialpolitische Leistungen in der Ersten Republik – nicht zuletzt an der eigenen Person – erfahren hat. Maisel war sowohl “im Ständestaat” wie im Nationalsozialismus, dann im KZ Buchenwald, inhaftiert und war einer der führenden Männer der illegalen Arbeiterbewegung. Maisel blieb auch als Sozialminister von gewerkschaftlichen Maximen geleitet. Bei der Neuregelung der Sozialpolitik und des Sozialrechts ging es ihm darum, dass in allen Gebieten die Arbeiter und Angestellten “mitbestimmend zu entscheiden haben”. Er vertrat ein gesamtheitliches Konzept von Sozialpolitik. Beeinflusst vom britischen Modell, das auf dem “Beveridge-Plan” fußte, war er ein Vertreter einer einheitlichen “Volksversicherung” und damit für eine völlige Neufundierung der Sozialversicherung. Eine solche Neugestaltung scheiterte an den Realitäten; hatten sich doch die Sozialversicherungsträger noch im Jahr 1945 wieder gebildet und damit die Struktur vorgegeben. Gegen die Zentralisierung und eine völlige Neugestaltung gab es auch erheblichen politischen Widerstand von Seiten der ÖVP und der Wirtschaft. Schließlich sprachen auch gesetzestechnische Gründe dagegen.
Maisel kann daher nur mit Abstrichen als inhaltlicher Gestalter des ASVG gesehen werden. In seinem zentralen neu geregelten Teil, jenem der Renten, trägt das Gesetz die Handschrift von Friedrich Hillegeist. Meinungsverschiedenheiten darüber hat Maisel mit Hillegeist öffentlich ausgetragen. Maisel hat vor allem den Gesetzgebungsprozess wesentlich und energisch vorangetrieben und sich entschieden gegen Kritiker der Sozialgesetzgebung gestellt, deren Zielscheibe er im verstärkten Maße als Sozialminister wurde.
Zweites zentrales Kapitel ist jenes Karl Maisels als Arbeiterkammerpräsident. Er sah die Arbeiterkammer als Expertenpool für politische Entscheidungen, aber auch als Wächter des Erreichten und als Seismograph für kommende Entwicklungen. In diesem Verständnis wurzelte sein Bemühen, die Kammer zu einem “offenen Haus” zu machen. Der Neubau des Kammergebäudes in der Plößlgasse in Wien ist dafür exemplarisch.
Maisels Verständnis von Sozialpolitik ist wesentlich von einer funktionierenden Wirtschaft als Voraussetzung geprägt. Hier trifft er sich mit der Führung der Sozialdemokratie und der Gewerkschaftsspitze. Er forderte schon 1945 eine weitgehende Zentralisierung und Demokratisierung der Wirtschaftspolitik. In diesem Verständnis wurzelte auch Maisels Antikommunismus. Er war neben Johann Böhm wesentlicher Architekt der Sozialpartnerschaft und trug entscheidend zur Einrichtung der Paritätischen Kommission für Lohn- und Preisfragen bei. Der Arbeiterkammerpräsident Maisel maß auch der (Aus-)Bildung und Fragen der europäischen Integration große Bedeutung bei.
Karl Maisel gehört im kollektiven Gedächtnis nicht zur allerersten Reihe der Politiker der Wiederaufbauphase der Zweiten Republik. Er hat die Sozialpolitik nicht so sehr inhaltlich gestaltet, aber zu ihrer Durchsetzung zwischen 1945 und 1964 ganz wesentlich beigetragen. Insofern zählt Karl Maisel unzweifelhaft zu den großen politischen Persönlichkeiten des Wiederaufbaus der Zweiten Republik.
Die Arbeit ist als Buchpublikation im ÖGB-Verlag erschienen.