
Projektleitung: | Univ.-Prof. Dr. Anton Pelinka | |
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Durchführung: | Dr. Guenther Steiner | |
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Finanzierung: | Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger | |
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Fertigstellung: | Dezember 2010 |
Aus Anlass des 125. Geburtstages seines ersten Präsidenten Johann Böhm gab der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger eine Studie zur Rolle und Bedeutung Johann Böhms in der österreichischen Sozialversicherung heraus. Im Mittelpunkt der Arbeit steht Böhms Funktion als vorläufiger Verwalter bzw. Präsident des Hauptverbandes von 1947 bis zu seinem Tod 1959. Die Studie steht methodologisch an der Schnittstelle von Politik- und Geschichtswissenschaft.
Böhms Tätigkeit als Funktionär der Sozialversicherung begann schon 1913 in der Unfallversicherungsanstalt für Niederösterreich in Wien und wurde nur von 1934 bis 1945, in der Zeit des ständestaatlichen und des nationalsozialistischen Regimes, unterbrochen. 1945 war Böhm Staatssekretär für soziale Verwaltung in der provisorischen Regierung Renner und als solcher wesentlich am Wiederaufbau der Sozialversicherung in der unmittelbaren Nachkriegszeit beteiligt. An der Tätigkeit Böhms in der Sozialversicherung lässt sich auch die Entwicklung der Sozialversicherung von der späten Monarchie über die Erste Republik bis in die Nachkriegsjahre darstellen; insbesondere die enorme ideologische Aufgeladenheit der Sozialpolitik, die Böhm stark prägte.
Seit 1903 war Böhm auch in der Gewerkschaftsbewegung engagiert. Er war 1945 einer der Initiatoren und erster Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes. Der Hauptverbandspräsident Böhm kann ohne den Gewerkschaftsbundpräsident Böhm nicht erklärt werden. Johann Böhm war als Präsident des Hauptverbandes nicht operativ tätig; ihm kam es zu, das Gewicht des Gewerkschaftsbundes in die politischen Weichenstellungen in der Sozialversicherung am Beginn der Zweiten Republik einzubringen. Als Teil von Gewerkschaftspolitik verstand Böhm Sozialversicherung eindeutig als Politik für die Arbeiter und Angestellten, es war ihm wichtig, den Gewerkschaftsbund in der Sozialversicherung zu positionieren.
An der Untersuchung von Böhms Tätigkeit in der Sozialversicherung lässt sich die institutionelle Interaktion der Sozialversicherung mit einerseits den Sozialpartnern, insbesondere Gewerkschaftsbund und Arbeiterkammer (Böhm hatte sich als Staatssekretär für die Wiedererrichtung der Arbeiterkammern eingesetzt) und andererseits den politischen Entscheidungsträ:gern in Parteien und Regierung aufzeigen: Die Gremien der Sozialversicherung werden von den Sozialpartnern beschickt. Die wesentlichen Fragen der Gesetzgebung und damit die Gestaltung der Sozialversicherung werden von den Spitzen der politischen Parteien entschieden. Böhm hatte hier eine einflussreiche Stimme, weil er an der Spitze des Gewerkschaftsbundes stand. Charakteristisch, hier ist Böhm keine Ausnahme, ist die “Ämterkumulierung”, die geradezu zur Voraussetzung für das Funktionieren dieses Systems wurde wie die Beziehungen der handelnden Akteure auf einer persönlichen Ebene. Dafür sind Johann Böhm und Julius Raab als Spitzenvertreter der Arbeitnehmer- bzw. Arbeitgebervertreter exemplarisch. Auch die Sozialminister Karl Maisel und Anton Proksch kamen aus der Gewerkschaftsbewegung und waren Männer Johann Böhms.
Zwei zentrale Motive lassen sich schließlich als Fundament für Johann Böhms Verständnis von Sozialpolitik erkennen: zum einen die Angst vor sozialen Unruhen. Damit verbunden war die Angst vor einer politischen Radikalisierung und Destabilisierung und schließlich der Zerstörung des demokratischen Systems. Böhm war tief geprägt von den staatlichen Repressalien gegen die Arbeiterbewegung in der Monarchie ebenso wie von der politischen Gewalt der Ersten Republik, die zum Untergang des demokratischen Systems geführt hatte.
Zum zweiten – und damit verbunden – wurzelte Böhms Verständnis von sozialer Sicherheit in der Sorge vor der wirtschaftlichen Destabilisierung der Arbeiterschaft. Er verknüpfte Sozialpolitik mit Wirtschaftspolitik – Wirtschaftswachstum war ihm die Basis für soziale Errungenschaften. Wiewohl Böhm, stark geprägt von der ideologischen Aufladung der Sozialpolitik in der Ersten Republik, immer wieder davon sprach, dass Parteipolitik in der Sozialversicherung nichts verloren habe, war die Sozialversicherung für ihn ein Instrument, das Leben der Arbeiter und Angestellten zu verbessern. Er verstand sie als gesamtgesellschaftliches Konzept; sie war in seinem Verständnis wesentlicher Teil der Gewerkschaftspolitik.
Im Vorstand der Unfallversicherungsanstalt in der späten Monarchie hatte Böhm die Zusammenarbeit von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern als positiv erfahren. Nach 1945 wurde er zu einem “Brückenbauer” der Zusammenarbeit. “Er hat den Klassenkampf demokratisieren geholfen”, würdigte ihn die Arbeiterzeitung. Böhm hat den Wiederaufbau der Sozialversicherung entscheidend mitbeeinflusst und dem neu gegründeten Hauptverband seinen Platz im Institutionengefüge gesichert. Vor diesem Hintergrund hat er sich große Verdienste um die Sozialversicherung in Österreich erworben.
Die Arbeit ist als Buchpublikation im ÖGB-Verlag erschienen.