2008: Opferhilfe für Seniorinnen in Favoriten


Projektleitung und Durchführung: Dr.in Birgitt Haller


Finanzierung: Stadt Wien / MA 57 über den Weißen Ring


Fertigstellung: Januar 2008


Ziel des vom Weißen Ring konzipierten und zwischen Mitte November und Mitte Dezember 2007 im 10. Wiener Gemeindebezirk durchgeführten Opferhilfeprojekts war es, Seniorinnen ab 60 Jahren nach einer erlittenen Straftat möglichst rasch zu stabilisieren und sie bei der Wiedergewinnung ihrer emotionalen und äußeren Sicherheit zu unterstützen. Dadurch sollte insbesondere ihre Selbstständigkeit wiederhergestellt werden, um zu verhindern, dass die Angst vor neuerlichen übergriffen zu sozialer Isolation bzw. schweren psychischen Beeinträchtigungen oder Krankheiten führt. Den Verbrechensopfern wurde auf ihren Wunsch hin von der Polizei psychosoziale Soforthilfe und eine Weiterbetreuung durch eine Psychologin vermittelt.

Die Evaluierung verfolgte zwei Zugänge: die Befragung der vom psychologischen Team betreuten Verbrechensopfer mittels eines Fragebogens und einer telefonischen Abschlussbefragung, sowie die Durchführung von Interviews mit den Betreuerinnen und den PolizeibeamtInnen vor Ort.

Obwohl nur neun Verbrechensopfer betreut werden konnten, wurde deutlich, dass die angestrebte Stabilisierung der Klientinnen erreicht wurde. Die betreuten Seniorinnen gaben bei der Beantwortung des Fragebogens und auch gegenüber ihren Betreuerinnen an, mit jemandem über ihre Kriminalitätserfahrung reden zu können sei ihnen wichtig gewesen und der Zuspruch habe ihnen gut getan. Allerdings meinten im Zuge der Nachfrage durch die Evaluatorin, rund drei bis vier Wochen nach dem Erstkontakt mit der Betreuerin, zwei von fünf Frauen, dass ihnen die Intervention “eigentlich nichts gebracht” habe bzw. dass man ihnen nicht helfen könne. Die Diskrepanz zwischen den zunächst durchgängig positiven Reaktionen, die in der Folge teilweise revidiert wurden, verweist möglicherweise auf die Notwendigkeit einer deutlich längerfristigen Betreuung. Diese Vermutung deckt sich mit Beobachtungen sowohl der Betreuerinnen als auch der befragten Exekutivbeamten: Die Klientinnen bzw. Verbrechensopfer generell würden zunächst unter Schock stehen, die Auswirkungen eines Übergriffs zeigten sich erst zeitverzögert.

Trotz der Konzeption des Unterstützungsangebots des Weißen Rings als Soforthilfe sah es erforderlichenfalls eine Folgebetreuung vor, die die Klientinnen auch in Anspruch nahmen. Dies ist schon deshalb notwendig, weil die Annahme eines umfassenden Betreuungsangebots eine persönliche Beziehung voraussetzt, deren Aufbau Zeit erfordert. Die Vermittlung zu psychologischer Betreuung etwa oder Gespräche über einen offenkundig notwendigen Heimaufenthalt sind nur auf der Basis eines Vertrauensverhältnisses möglich. Aus der auf ein Monat limitierten Laufzeit des Interventionsprojekts ergab sich aber eine entsprechende Einschränkung des Zeitraums für die Folgebetreuung, die vermutlich zu kurz ist, um bei allen Betroffenen eine ausreichende und nachhaltige Stärkung zu erreichen und ihr Sicherheitsgefühl wiederherzustellen.

Die zwei bei der Nachbefragung dem Angebot gegenüber skeptischen Frauen waren beide nicht Opfer von schwerer Gewalt: Der einen wurde die Handtasche geraubt, der anderen die Geldtasche gestohlen, beide trugen aber durch den Übergriff keine Verletzungen davon. Beide haben familiäre Ressourcen und wurden von Enkeln unterstützt. Die Klientin dagegen, die nach einem Überfall elf Tage im Krankenhaus verbringen musste, war optimistisch und über das Interventionsprojekt richtiggehend begeistert. Vermutlich ist eine Unterstützung umso wichtiger, je massiver der Übergriff war bzw. erlebt wurde – wenn auch möglicherweise Persönlichkeitsunterschiede bei der Bewertung der Betreuung eine Rolle spielen.

Die Projekterfahrungen verweisen auf die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit einer Betreuung von Verbrechensopfern, die sich allerdings in vielen Fällen wohl über einen längeren Zeitraum erstrecken müsste. Die Exekutive würde den Aussagen der Gesprächspartner zufolge eine solche Initiative begrüßen und unterstützen – müsste aber auch mit mehr Nachdruck über das Unterstützungsangebot informiert werden.