2003: Verschuldung von MigrantInnen in Wien. Ursachen, Ausmaß und Folgen


Projektleitung: Univ.-Prof. Dr. Anton Pelinka


Durchführung: Dr.in Birgitt Haller
MMag.a Karin Stögner


Finanzierung: Wiener Integrationsfonds
Kammer für Arbeiter und Angestellte Wien
MA 57


Fertigstellung: September 2003


Mit der vorliegenden Untersuchung wurde versucht die Ver- bzw. Überschuldungssituation von MigrantInnen in Wien zu erfassen, wobei sowohl quantitative als auch qualitative Erhebungen durchgeführt wurden. Im Rahmen der quantitativen Erhebung erfolgte eine Auswertung der (anonymisierten) Datenbankeneintragungen aus dem zweiten Halbjahr 2002 bei der Schuldnerberatung der Stadt Wien und der KWH. Dabei konnten einige Unterschiede zwischen migrierten und “österreichischen” KlientInnen herausgearbeitet werden. Ein Manko besteht darin, dass aufgrund der Struktur der Datenbanken in Österreich geborene eingebürgerte MigrantInnen, also Angehörige der zweiten Generation, nicht erfasst werden konnten. Als MigrantInnen wurden hier Personen definiert, die entweder (unabhängig von ihrem Geburtsort) über eine fremde Staatsbürgerschaft verfügen oder die im Ausland geboren sind (unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft). Ergänzend zu den Datenbankauswertungen erfolgte zwei Wochen lang eine Fragebogenerhebung bei migrierten KlientInnen der beiden Schuldnerberatungseinrichtungen. Damit konnten genauere Informationen über ihre Verschuldungssituation bei 102 Personen mit nicht-deutscher Muttersprache (also auch bei Angehörigen der 2. Generation) eingeholt werden. Der qualitative Zugang zum Untersuchungsthema erfolgte durch Interviews mit verschuldeten MigrantInnen (Männer, Frauen und Jugendliche) sowie mit VertreterInnen der Gläubigerseite und mit Mitarbeitern der beiden Schuldnerberatungsstellen.

Von den KlientInnen der beiden Wiener Schuldenberatungsstellen sind rund ein Fünftel AusländerInnen/im Ausland geborene KlientInnen und rund die Hälfte Personen mit nicht-deutscher Muttersprache, also MigrantInnen. Das heißt, dass AusländerInnen und im Ausland Geborene in Relation zu ihrem Bevölkerungsanteil unter den KlientInnen annähernd adäquat repräsentiert sind, in Österreich geborene eingebürgerte MigrantInnen sind aber stark überrepräsentiert.

Einige Merkmale der migrierten KlientInnen der Beratungsstellen fallen auf: Die Altersgruppe der 41- bis 50-Jährigen ist bei ihnen deutlich stärker vertreten als bei den ÖsterreicherInnen, und unter den Migrantinnen finden sich überproportional viele geschiedene Frauen (und Alleinerzieherinnen). Das hängt mit der Arbeits- und Einkommenssituation von MigrantInnen zusammen. Einerseits sind ältere ArbeitnehmerInnen stärker armutsgefährdet, weil sie in erhöhtem Ausmaß von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Zum anderen haben gerade Frauen sehr niedrige Einkommen, die im Falle einer Scheidung – und insbesondere dann, wenn Kreditbelastungen etwa durch Bürgschaften bestehen – kaum für die Existenzsicherung ausreichen.

Die beiden Verschuldungsursachen Arbeitslosigkeit und zu geringes Einkommen zusammengenommen standen hinter einem Viertel aller Überschuldungen. Außerdem ergab die Datenbankauswertung, dass Wohnen von jedem/jeder achten MigrantIn, aber nur von jedem/jeder zwölften ÖsterreicherIn genannt wurde. Es ist also bei MigrantInnen vor allem die Befriedigung von Grundbedürfnissen schwierig und oft mit dem Schritt in die Armutsfalle verbunden. Im Übrigen verschulden sich deutlich weniger MigrantInnen als ÖsterreicherInnen durch eine Tätigkeit als Selbstständige.

Auffallend ist, dass vor allem Frauen in Folge einer Scheidung oder Trennung überschuldet sind. Das hängt u.a. damit zusammen, dass Migrantinnen wesentlich häufiger als Österreicherinnen Bürgschaften für den Partner übernommen haben (vor allem in Zusammenhang mit dessen selbstständiger Tätigkeit) und als Zahlerin herangezogen werden. Hier spielt nicht nur der Druck von Banken zur Bürgschaftsübernahme eine Rolle (der laut Aussagen von BankenvertreterInnen in den letzten Jahren schwächer geworden ist), sondern auch, dass viele Migrantinnen sehr schlecht oder kaum Deutsch sprechen und verstehen und in vielen Fällen nicht wissen, wozu sie sich verpflichten, bzw. von ihren Partnern zur Unterschrift gezwungen werden.

Überraschend war, dass MigrantInnen unter den AntragstellerInnen auf einen Privatkonkurs sehr stark vertreten waren. Dieses Ergebnis der Datenbankauswertung korrespondiert mit der Einschätzung eines Gesprächspartners vom Kreditschutzverband von 1870. Da MigrantInnen grundsätzlich aufgrund ihrer schlechteren Arbeits- und Einkommensverhältnisse schlechtere Chancen auf einen Privatkonkurs haben, dürfte die Einschätzung eines Schuldnerberaters zutreffen, dass gerade MigrantInnen besonders stark motiviert sind, einen Privatkonkurs durchzuziehen.

Es konnten 23 Interviews mit verschuldeten Männern, Frauen und Jugendlichen durchgeführt werden. Ein Manko der Untersuchung besteht darin, dass keine erwachsenen GesprächspartnerInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien gefunden werden konnten. Während es zunächst generell sehr schwierig war, InterviewpartnerInnen zu finden, gelang uns dies über die Vermittlung von verschiedenen Beratungseinrichtungen schließlich doch. Diese Einrichtungen arbeiten aber in erster Linie mit TürkInnen bzw. scheinen TürkInnen über engere Netzwerke zu verfügen als Personen aus dem früheren Jugoslawien, so dass letztlich TürkInnen leichter zu einem Gespräch motivierbar waren. Die Schwierigkeiten beim Zugang zu InterviewpartnerInnen verdeutlichen, wie sehr Ver-/Überschuldung ein Tabuthema ist. Unseren InterviewpartnerInnen ging es nicht nur psychisch sehr schlecht, sie schämten sich auch ihrer Situation. Die meisten waren nur aufgrund des Vertrauensverhältnisses zu ihren BetreuerInnen, die ihnen die Wichtigkeit des Forschungsprojektes nahe brachten, zu einem Gespräch bereit.

Aus unserer Sicht liegen die Gründe für das überproportionale Verschuldungsrisiko von MigrantInnen in erster Linie in deren Lebenssituation. Verglichen mit den ÖsterreicherInnen und EU-AusländerInnen sind ihre Einkommen niedriger und sie sind mit höherer Arbeitslosigkeit konfrontiert. Ein großes Problem liegt darin, dass auch die zweite Generation am Arbeitsmarkt über keine deutlich besseren Chancen verfügt, viele Jugendliche haben keine weiterführende Schulbildung und auch sie arbeiten vornehmlich in Niedriglohnbranchen. Dazu kommt bei den meisten MigrantInnen die Notwendigkeit von hohen finanziellen Aufwendungen für das Grundbedürfnis Wohnen. Eine nachhaltige Reduzierung des Verschuldungsrisikos von MigrantInnen müsste bei diesen gesellschaftlichen Bereichen ansetzen.