
Projektteam: | Dr.in Birgitt Haller (Leitung) Brigitte Temel, BA BSc MA Valeria Zenz, MA Leonie Friedrich, BA |
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Finanzierung: | MA 13 – WASt – Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen (Förderung aus dem Queeren Kleinprojektetopf 2020) |
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Fertigstellung: | November 2020 |
Da die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare erst seit dem 1. Jänner 2019 möglich ist, besteht nachvollziehbar eine Leerstelle bezüglich empirischem Wissen über Verheiratete in Wien beziehungsweise Österreich und somit auch darüber, wie (un-)zufrieden LGBTIQA mit der Ehe sind oder aber was sich aus ihrer Perspektive und Erfahrung in ihrem Leben als Konsequenz der Eheschließung geändert hat. Ziel des Forschungsprojekts war es, in Form einer Pilotstudie dreierlei Hauptfragen nachzugehen. Erstens, die Durchführung einer explorativen Untersuchung über die Möglichkeiten und Bedingungen der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Zweitens, welche Auswirkungen hat die Möglichkeit der Eheschließung beziehungsweise die vollzogene Eheschließung auf andere Lebensbereiche, emotionale und psychische Gesundheit sowie Lebenszufriedenheit allgemein? Drittens, welche Relevanz kommt der Möglichkeit der Eheschließung im Verhältnis zur Möglichkeit einer Eingetragenen Partnerschaft zu? Dem Projekt lag eine intersektionale Herangehensweise zugrunde, welche unterschiedliche Perspektiven und Lebensrealitäten in Bezug auf die Ehe für alle berücksichtigte und in die Analyse mit einbezog.
Zur Beantwortung der Fragestellungen wurden qualitative sowie quantitative Methoden herangezogen. Basierend auf einem extensiven Literaturstudium wurde ein Leitfaden entwickelt, auf dessen Basis vier Interviews mit Verheirateten Personen geführt wurden. Diese waren im narrativ-biografischen Setting angelegt, mit speziellem Fokus auf die Thematik. Basierend auf den ausgewerteten Interviews wurde ein Fragebogen erstellt, welcher über diverse Kanäle der LGBTIQA Community verteilt wurde. Hierbei wurde neben der Erfassung grundlegender demografischer Daten unter anderem folgenden Fragen nachgegangen: Welche Erfahrungen haben jene Paare gemacht, welche sich zur Eheschließung entschieden haben? Gibt es hier Unterschiede, je nach Gruppenzugehörigkeiten bzw. Intersektionen? Wie zufrieden sind LGBTIQAs mit der Ehe für alle? Was läuft gut, was läuft nicht gut? Was sind Verbesserungsvorschläge, was Kritiken? Inwieweit beeinflusst die Ehe für alle insgesamt die Zufriedenheit, die Lebensqualität, das Akzeptanzgefühl in Wien bzw. Österreich gesamt? Was hat sich geändert für Verheiratete – in ihrer Familie, ihrem sozialen Umfeld, der Community, ihrem Arbeitsumfeld, im Alltag?
Insgesamt retournierten 98 Personen zwischen Anfang August und Ende Oktober 2020 den Fragebogen. Die bereinigte Stichprobe umfasste schließlich insgesamt 87 Personen, allerdings schwankt die Respondent:innenzahl abhängig von den Fragen mitunter stark. Aufgrund der Größe der Stichprobe kann mit den nachfolgend präsentierten Ergebnissen zwar kein Anspruch auf Repräsentativität erhoben werden, dennoch lassen sich mehrere wichtige und spannende Tendenzen feststellen und Erkenntnisse formulieren. Die vorliegende Studie kann daher als Ausgangsbasis für größere und breiter angelegte Folgeforschungen genutzt werden. Die Hauptauswertungsachse erfolgt anhand sexueller Orientierung, jedoch werden punktuell auch andere Kategorien zur vertiefenden Analyse in die Auswertung miteingezogen, um intersektionale Aussagen treffen zu können. Über die Hälfte der befragten Personen wohnt aktuell in Wien. Rund jede:r Zehnte lebt in Niederösterreich, welches fast ebenso viele Einwohner:innen hat wie Wien, sowie in der deutlich kleineren Steiermark. Im Mittelfeld liegen Oberösterreich, Salzburg und Tirol, und im Burgenland, in Kärnten und Vorarlberg haben jeweils zwei Personen den Online-Fragebogen beantwortet. Mit Blick auf die Kategorie Geschlecht ist ebenfalls eine Verzerrung zu konstatieren: 74 Prozent der Befragten sind weiblich, 22 Prozent männlich und lediglich je zwei Personen sind intersexuell oder non-binary bzw. queer. Weiters identifiziert sich der Großteil der Stichprobe als cis (91 Prozent) – das bedeutet, dass hinsichtlich der Erfahrungen von trans Personen sowie non-binary/queer und intersex Personen keine verallgemeinerbaren Aussagen getroffen werden können.
Im Folgenden sollen die zentralen Ergebnisse der Studie zusammengefasst werden. Insgesamt ist die Zufriedenheit mit den jeweiligen für die Eheschließung notwendigen bürokratischen Schritten ausgesprochen hoch: Mit der Ehefähigkeitsprüfung, der Ausstellung der Heiratsurkunde, der Namensänderung sowie der Durchführung der Trauung sind zwischen 89 Prozent bis sogar 97 Prozent (sehr) zufrieden. Auch das Verhalten der Standesbeamt:innen wird mehrheitlich als sehr positiv bewertet. Auf die Frage, ob die Erwartung, wie ein verschiedengeschlechtliches Paar behandelt zu werden, erfüllt wurde, gab es überwiegend positive Rückmeldungen, nur sehr wenige erfuhren eine Andersbehandlung.
Reaktionen auf die Eheschließung seitens der eigenen Familie waren überwiegend positiv, allerdings haben einige auch neutrale, einzelne sogar (sehr) negative Reaktionen erfahren. Bei den Familie des:der Partner:in fielen die Reaktionen insgesamt schlechter aus. Enge Freund:innen und Bekannte sowie das LGBTIQ-Umfeld reagierten nahezu ausschließlich (sehr) positiv, ebenso Arbeitskolleg:innen. Veränderungen im Verhältnis zu verschiedenen Personengruppen infolge der Eheschließung gab es kaum und wenn, dann überwiegend zum Positiven.
Schließlich hat interessiert, inwieweit die Eheschließung die Lebenszufriedenheit, das Sicherheitsgefühl sowie Sichtbarkeit im öffentlichen Raum, das Selbstwertgefühl sowie die Akzeptanz durch die österreichische Gesellschaft allgemein beeinflusst. Unterschiedlich stark ausgeprägte positive Veränderungen der Beziehungsqualität lassen sich in der Partnerschaft, der Herkunftsfamilie sowie der Familie des:der Partner:in feststellen. In den anderen Lebensbereichen kam es zu keiner Verschiebung. Mit Blick auf körperliche und psychische Gesundheit fällt auf, dass zwar nur wenige Personen mit ihrer körperlichen Gesundheit zufriedener sind, jedoch berichtet jede vierte von höherer Zufriedenheit mit ihrer psychischen Gesundheit.
Beinahe die Hälfte (von insgesamt 53 darauf Antwortenden) fühlt sich seit der Eheschließung durch die österreichische Gesellschaft stärker akzeptiert, auch das Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum ist bei rund 14 Prozent (von insgesamt 64) gestiegen, insbesondere bei Lesben. Einige wenige Lesben sind überdies mit ihrer Partner:in im öffentlichen Raum sichtbarer. Veränderungen seit der Eheschließung hinsichtlich erlebter negativer Bemerkungen, Verhaltensweisen, Gewaltandrohungen beziehungsweise Gewalt gab es keine – im Gegenteil, zwei Personen erfahren letzteres seltener. Was allerdings seit der Heirat bei beinahe drei Viertel der Personen (zumindest teilweise) zugenommen hat, ist die Selbstsicherheit ihres Auftretens – diese Veränderung betrifft vor allem Lesben. Jede sechste Person (von insgesamt 61) ist durch die Eheschließung zugleich selbstsicherer und zufriedener in der Partnerschaft geworden. Hinsichtlich des Zusammenhangs von psychischer Gesundheit und Selbstsicherheit fällt auf, dass immerhin ein Viertel der Befragten von einer Verbesserung ihres psychischen Befindens und gleichermaßen von einem (teilweise) selbstsichereren Auftritt spricht. Ähnlich verhält es sich mit Selbstsicherheit und Akzeptanz durch die österreichische Gesellschaft: Jede fünfte Person (von insgesamt 52) nimmt an sich ein stärker selbstsicheres Auftreten sowie eine gestiegene gesellschaftliche Akzeptanz wahr.
Zuletzt wurde die Relevanz der Möglichkeit der Eheschließung beziehungsweise der Eingetragenen Partnerschaft thematisiert. Gut vierzig Prozent waren vor der Ehe bereits in einer EP, ein gutes Viertel hat vor der Ehe die EP als Alternative erwogen. Hervorzustreichen ist, dass insgesamt rund 68 Prozent die EP als (teilweise) moderner als die Ehe sehen, die Mehrheit findet es gut, dass beide Optionen offenstehen.
Zusammenfassend konnte die vorliegende Studie auf alle drei Forschungsfragen grundlegende Antworten finden und aufzeigen, welch starke Auswirkungen mit der rechtlichen Gleichstellung von LGBTIQ-Personen durch die Öffnung der Ehe verbunden sind – sei es eine bessere partnerschaftliche Beziehung, mehr Selbstsicherheit und bessere psychische Gesundheit oder die (nur subjektiv empfundene oder tatsächlich) erhöhte Akzeptanz durch die österreichische Mehrheitsgesellschaft. Mit dem vorliegenden Bericht wurde ein erster wichtiger Impuls gesetzt, die empirische Leerstelle von Erfahrungen seitens LGBTIQ-Paaren mit der seit Jänner 2019 geöffneten Ehe zu füllen, und ein wesentlicher Beitrag für weitere Forschungen und Evaluationen geleistet.