2012: Die Effekte von Prostitutionspolitik – eine internationale Vergleichsstudie


Projektleitung: Univ.-Prof. Dr. Hendrik Wagenaar (Universität Leiden)


Durchführung: Univ.-Prof. Dr. Hendrik Wagenaar und Dr.in Sietske Altink (Niederlande)
Mag.a Dr.in Helga Amesberger (Österreich)
Dr.in Susanne Dodillet und Dr.in Petra Östergren (Schweden)


Finanzierung: Städte Den Haag, Utrecht, Rotterdam
NICIS (Institute for Urban Research and Practice)
Universität Leiden
MA 57 (Frauenbüro der Stadt Wien)


Fertigstellung: Dezember 2012


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Das Konzept für diese internationale Vergleichsstudie entstand in enger Zusammenarbeit von Hendrik Wagenaar und den Städten Rotterdam, Utrecht und Den Haag, die neben NICIS auch zu den Hauptfinanziers der Studie gehören. Das Ziel der Studie ist, die vielfach von einem moralischen Impetus getragenen Maßnahmen im Bereich der Prostitutionspolitik in den Niederlanden, Österreich und Schweden miteinander zu vergleichen und ihre Effekte auf die Arbeits- und Lebensbedingungen von SexarbeiterInnen zu analysieren. Dabei gingen wir von der Annahme aus, dass zwischen Politikformulierung und deren faktischer Implementierung beträchtliche Differenzen bestehen.

Ausgangspunkt der Studie war, dass bislang die Effekte von Prostitutionspolitik – intendierte wie unintendierte – nicht auf internationaler Ebene untersucht wurden. Es gibt weder Wissen darüber, welchen Wirkungsgrad bestimmte Maßnahmen haben, noch wissen wir von der Beziehung zwischen Politikinstrument/ Maßnahme, wie etwa die Kriminalisierung von Kunden oder die Lizenzierung von Bordellen, und ihren Effekten. Zur Frage stand auch, ob ähnliche politische Maßnahmen in den verschiedenen Ländern gleichermaßen wirken.

Die Studie zeigt, dass das Politikfeld Prostitution gegenüber politischen Maßnahmen sehr resistent ist – und dies unabhängig vom jeweiligen auf nationaler Ebene präferierten “Prostitutionsregime”. Prostitution ist ein Bereich, der zudem wesentlich von externen Einflüssen wie Arbeitsmigration oder der Entwicklung der Kommunikationstechnologien determiniert ist. Veränderungen geschehen daher mitunter in einem Tempo, mit dem Politik und Verwaltung nicht mithalten und vielfach nur reaktiv handeln können. Ein weiterer Faktor für die geringe und langsame Wirksamkeit gesetzlicher Maßnahmen ist, dass Bordelle, Kunden und SexarbeiterInnen nach wie vor – aus unterschiedlichen Gründen – bei gleichzeitiger hoher Sichtbarkeit weitgehend im Schattenbereich der Wirtschaft agieren (müssen oder wollen). Informationen über das Milieu sind daher auch schwer zu generieren. Dies zeigt sich etwa an der Qualität der vorhandenen Daten (in allen drei Untersuchungsländern): Die Datenerhebungen in Österreich bei Gesundheitsämtern, Landeskriminalämtern und dem Bundeskriminalamt ergab, dass selbst rudimentäre Daten wie die Anzahl der Betriebe und der Sexarbeiterinnen nicht sehr zuverlässig sind. In manchen Bundesländern liegen nur Schätzungen vor, es werden je nach Bundesland unterschiedliche Quellen herangezogen, in allen Fällen beziehen sich die Zahlen auf einen Stichtag (30. Dezember). Das heißt, diese Statistiken geben weder Auskunft über das Alter der SexarbeiterInnen (Ausnahme Wien), noch darüber, wie viele Frauen durchschnittlich pro Tag der Sexarbeit nachgehen, auch nicht über die durchschnittlichen Wochenarbeitszeiten etc. Dies ist insofern problematisch, als Zahlen oftmals als strategisches Vehikel benutzt werden, um eine bestimmte Ausrichtung der Politik zu forcieren. Verlässliche Statistiken sind aber wesentlich für Politikgestaltung und für wirksame politische Maßnahmen und sie könnten ein Gegengewicht zur moralisierenden Diskussion über Prostitution darstellen. Bislang gab es in Österreich noch keine Studie zu Sexarbeit, in der SexarbeiterInnen in einem derart großen Umfang befragt wurden. Mithilfe von 85 Interviews mit Sexarbeiterinnen – zum überwiegenden Teil durchgeführt von LEFÖ und maiz – konnte das Informationsmanko zumindest teilweise behoben werden. Diese Interviews geben Aufschluss über Migrationsprozesse, die Wege in die Sexarbeit (Entscheidung, Motivation, UnterstützerInnen), die Arbeitsbedingungen (Arbeitszeiten, Verdienste, Arbeitsklima, verpflichtende Gesundheitsuntersuchungen usw.), die (Gründe für) Mobilität und ähnliches mehr.

Politikgestaltung im Bereich Prostitution ist zudem zum einen wegen deren Hetero-genität und Komplexität, und zum anderen durch deren hochgradig emotionelle Aufladung ein schwieriges Unterfangen, was wiederum zu sehr unterschiedlichen Problemdefinitionen und Maßnahmen führt. Egal, welcher Weg verfolgt wird, effektive Prostitutionspolitik bleibt daher notwendigerweise eine Politik der kleinen Schritte. Die Interviews mit “informierten Außenstehenden” (aus den Bereichen Politik, Exekutive, Verwaltung, Gesundheitsämtern und NGOs) belegen dies auf eindrucksvolle Weise.

Dennoch haben politische Maßnahmen einen wesentlichen Einfluss auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen von SexarbeiterInnen, insbesondere den zugewanderten. In den niederländischen wie den österreichischen Interviews mit SexarbeiterInnen (insgesamt 129) wurde sichtbar, dass die vielfach konstatierte und als negativ eingestufte Mobilität von SexarbeiterInnen unter anderem, aber nicht in geringem Maße, von gesetzlichen Maßnahmen bzw. der Umsetzung solcher verursacht ist.

Die genaue Analyse der Umsetzung der Gesetze in den Niederlanden und Österreich (Wien und Oberösterreich) hat verdeutlicht, dass die Prostitutionspolitik in beiden Ländern in großen Teilen sehr ähnlich ist. Beide Länder verfolgen u.E. ein regulatives Prostitutionsregime. Es hat sich des Weiteren gezeigt, dass die Wirkung der Gesetze und Regelungen maßgeblich von der Implementierung auf der lokalen Ebene abhängig ist und diesem Prozess der Umsetzung und der sorgfältigen Auswahl von Politikinstrumenten noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird (dies gilt in stärkerem Maße für Österreich als für die Niederlande).

Dies sind nur einige wenige Ergebnisse. Der Forschungsbericht beschäftigt sich, neben einer ausführlichen Darstellung von Sexarbeit in den Niederlanden und in Österreich sowie der jeweiligen nationalen wie lokalen Prostitutionspolitik, eingehend mit dem Spannungsfeld Prostitution – Migration – Ausbeutung und Prostitutionspolitik als moralische Politik.