2007: Antisemitismus und Antifeminismus: eine zeitdiagnostische Studie der Vermittlung von Vorurteilen


Projektleitung: Univ.-Prof. Dr. Frank Stern (Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien)


Durchführung: MMag.a Karin Stögner


Finanzierung: Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank, Projekt Nr. 11801


Fertigstellung: Dezember 2007


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Dieses Projekt stellte sich zur Aufgabe, die vielschichtigen Vermittlungen von Antisemitismus und Antifeminismus einer Analyse zuzuführen. Diese Annäherung an den Gegenstandsbereich fand aus der Perspektive politischer, ökonomischer und geistesgeschichtlicher Erklärungsansätze statt, die jeweils hinsichtlich der Eigenart, Korrespondenz und Differenz von Antisemitismus und Antifeminismus bearbeitet wurden. Ziel war eine bedingungsanalytische Rekonstruktion der subjektiven und objektiven Strukturen beider Vorurteile, um den konzeptionellen Nachvollzug ihrer Wirkungszusammenhänge zu ermöglichen. Dabei wurde auf die Unterschiede ebenso wie auf die Gemeinsamkeiten von Antisemitismus und Antifeminismus Bedacht genommen, indem die jeweils spezifischen Konstellationen, in denen sie stehen, durch diese Archäologie der Vermittlung beleuchtet wurden.

Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt vor allem auf zwei zusammenhängenden Momenten: dem gesellschaftlichen Umgang mit einem bestimmten Konstrukt von Natur und dem gesellschaftlichen Zwang zu Einheit und Eindeutigkeit. Beide erweisen sich sowohl hinsichtlich des Antisemitismus als auch des Antifeminismus als wesentlich, was sich nicht zuletzt darin ausdrückt, dass ab der monistischen Wende im neunzehnten Jahrhundert sowohl Frauen als auch Juden mit “Natur” identifiziert wurden – einem Konstrukt, das dem Bedürfnis der Gesellschaft nach eindeutigen Zuordnungen und Kategorisierungen entsprach. Natur ist dabei stets ambivalent gefasst, einerseits als überwältigende Allmacht, die an Gottes, aber auch der Idee der Wahrheit statt im Zeitalter der Säkularisierung vergötzt wird, andererseits als Konglomerat alles dessen, was in der zivilisierten Menschheit dem Verdikt des Unreinen und Schmutzigen, des Zurückgebliebenen und Ungeläuterten, des Schwachen und nicht ganz auf der Höhe Stehenden repräsentiert. Juden und Frauen werden paradox mit beiden identifiziert: mit dem Schwachen, das, weil es trotzdem lebt, dem Recht des Stärkeren zu widersprechen scheint, was in diesen gesellschaftlichen Konstellationen zu neuer Unterdrückung führt; aber auch mit dem Übermächtigen, den Furcht einflößenden Imaginationen einer zerstörerischen Macht, die weder durchschaut noch eingedämmt werden kann. Diese ambivalente Verquickung von völlig Gegensätzlichem verleiht den paranoiden Vorstellungen einer “jüdischen Weltverschwörung” oder einer “bösen und verschlingenden weiblichen Allmacht” und “Weiberherrschaft” erst ihr spezifisches Gepräge.

Die Überhöhung von Stärke und eine entsprechende Konstruktion von Männlichkeit, in der kalte Überlegenheit über jedes Sich-Anschmiegen an die umgebende Welt triumphiert, ist ebenso Bestandteil antisemitischer und antifeministischer Verfasstheit, wie eine tiefe, idiosynkratische Abneigung gegen Geist und Intellekt. Zusammengehalten werden diese das Vorurteil konstituierenden Stränge durch eine tiefe Feindschaft gegen den Körper, der stilisiert und erhöht, jedoch nicht geliebt wird. In diesen verzerrten Wahrnehmungshorizonten hat er lediglich als von Herrschaft zugerichtetes, an die Maschinerie angepasstes Ding einen Ort; seine Äußerungen werden derart auch nur unter einem funktionalistischen Gesichtspunkt erlebt. Die als fremd und anders wahrgenommenen “Juden” und “Frauen” ragen in dieses fest gefügte Universum herrschaftlich instrumentalisierter Zwecke als Nicht-Identisches, Uneindeutiges, Unzuordenbares herein, als das sie freilich diskursiv stets erzeugt werden. Die spezifisch gegenderten und “rassisierten” Imagines des Juden und der Frau, die zumal ab dem Fin de Siècle im öffentlichen frauenfeindlichen und antisemitischen Diskurs tonangebend waren, deren Spuren jedoch auch noch heute, über den Bruch von Auschwitz hinweg, in alltäglichen Stereotypen und Klischees überdauert haben, sind als performative Akte von Antisemitismus und Antifeminismus aufzufassen. Vor solchem analytischen Hintergrund wird deutlich, dass die juden- und frauenfeindlichen Bilder nicht bloß Bilder sind, die den diskriminierenden und unterdrückenden Diskurs einer Gesellschaft ausdrücken, sondern die Kraft besitzen, diese Unterdrückung und Diskriminierung zu produzieren und zu reproduzieren. Sie tragen damit zu einer kaum mehr durchdringbaren weil verselbständigten Institutionalisierung von Antisemitismus und Antifeminismus bei.

Wie sehr die antisemitische und antifeministische Bilderwelt Bestandteil des Warenfetischs ist, der den Spätkapitalismus nicht minder prägt als andere Stufen der kapitalistischen Gesellschaftsentwicklung, wird an den ökonomistischen Aufhängern von Antisemitismus und Antifeminismus gleichermaßen deutlich: den Stereotypen des “gierigen Juden” und des “verschwenderischen Weibes” etwa. Auch die politischen Vorurteile gegen Juden und Frauen als vom Status der Bürgerlichkeit Ausgeschlossene, sowie die Stereotypen hinsichtlich des jüdischen Volkes und der israelischen Nation zehren von diesen Zusammenhängen.