
Projektteam: | Dr.in Birgitt Haller (Leitung) Brigitte Temel, BA BSc MA |
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Finanzierung: | Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege u. Konsumentenschutz | |
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Fertigstellung: | Oktober 2021 |
In dieser Best practice-Analyse wurde erhoben, welche Maßnahmen für einen möglichst weitreichenden Schutz von Frauen vor Partnergewalt erfolgreich umgesetzt wurden. Bereits zu Beginn der Covid-19-Pandemie warnten Expert:innen vor einer Zunahme von Gewalt gegen Frauen, was in Zeiten der Krise immer auffällt. Covid-bedingte Maßnahmen, insbesondere Lockdowns, haben die Situation weiter verschärft. Die spezifische Herausforderung während des Lockdowns bestand darin, dass infolge des quarantäne-bedingten „Eingesperrt-Seins“ zu Hause eine Kontrollsituation gegeben war bzw. eine bereits bestehende verstärkt wurde. Als Folge von Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit hielten sich bei einer Vielzahl von Familien sowohl der Gefährder/Gewalttäter als auch das Opfer weitgehend gemeinsam zu Hause auf, und es war für Frauen häufig weder möglich, unbemerkt zu telefonieren – etwa um eine Polizeidienststelle oder eine Beratungseinrichtung zu kontaktieren – noch die Wohnung zu verlassen.
Ziel der Studie war eine Übersicht über Best practice Beispiele anderer EU-Länder zu gewinnen und diese dann hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit und Sinnhaftigkeit für Österreich mit Expert:innen aus dem Gewaltschutzbereich zu diskutieren. Hierzu wurde in einem ersten Schritt eine umfassende Recherche der Maßnahmen gegen Gewalt gegen Frauen in allen EU-Ländern durchgeführt. Grundlage der Recherche war der Covid-19 Global Gender Response Tracker sowie die Homepage des Europarats. Basierend auf dieser Recherche, wurden in einer nächsten Projektphase Maßnahmen selektiert, welche für Österreich anwendbar wären, und mit Expert:innen in Österreich besprochen – unter anderem mit Vertreter:innen der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser (AÖF), der Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie in Wien (IST) sowie von Männerberatungsstellen. Auch wurden Gespräche mit Expert:innen ausgewählter EU-Länder durchgeführt.
Im Zuge des Forschungsvorhaben wurde festgestellt, dass die Mehrheit der aufgrund von Covid-19 zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen eingeführten Maßnahmen lediglich reaktiver Natur waren und der Prävention wesentlich weniger Raum und Ressourcen zugestanden wurden. Lediglich im Nachhinein auf Gewalt gegen Frauen zu reagieren, reicht nicht aus, wichtiger ist ein deutlich stärkerer Fokus auf präventive Maßnahmen und deren nachhaltige Implementierung – vor allem auch, um die langfristigen Folgen von Covid-19 besser abfangen zu können. Eine weitere relevante Feststellung des Berichts ging dahin, dass in den meisten Ländern vor allem die herausfordernde Arbeit von NGOs und der Zivilgesellschaft dafür sorgte, dass in der Krise Angebote und Services trotz und gerade wegen Covid-19 weiter (online) verfügbar und zugänglich waren. Die Politik ist vor allem den Schutz besonders vulnerabler bzw. marginalisierter Gruppen betreffend oftmals säumig geblieben, NGOs und die Zivilgesellschaft übernahmen unterfinanziert bzw. unbezahlt staatliche Aufgaben. Der Großteil der während Covid-19 geplanten und umgesetzten Maßnahmen verabsäumte es, intersektionale Perspektiven zu berücksichtigen und damit die unterschiedlichen Bedürfnisse vor allem vulnerabler Gruppen wie Migrant:innen, Personen mit Behinderung oder LGBTIQ-Personen. Um dieses Versäumnis zu illustrieren, sei auf eine Stellungnahme des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland verwiesen, der konstatierte, dass die Covid-19-Maßnahmen etwa die LGBTIQ-Community – und in dieser unter intersektionalen Gesichtspunkten wieder manche stärker als andere – härter trafen als andere Bevölkerungsgruppen. So wurden etwa in zahlreichen deutschen Bundesländern die für Weihnachten geplanten Ausnahmeregelungen bei den Kontakteinschränkungen nur für den engsten Familienkreis und Verwandte in gerader Linie gemacht. Dieses Konzept von Familie bezeichnet der Verband als heteronormativ, es geht an der Lebensrealität vieler LGBTIQ-Personen vorbei, welche oftmals mit ihrer biologischen Familie gebrochen haben und an deren Stelle ihre Wahlfamilie getreten ist. Einschränkungen wie diese führen also in weiterer Konsequenz zu einer verstärkten sozialen Isolation. LGBTIQ-Personen sind zudem häufig häuslicher Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt – das betrifft vor allem Jugendliche, die noch bei ihren Eltern wohnen. Auch Gewalt in LGBTIQ-Partner:innenschaften ist extrem tabuisiert und wird kaum beachtet – wie in heterosexuellen Beziehungen ist davon auszugehen, dass es aufgrund von mit Covid-19 zusammenhängenden Maßnahmen zu einer Zunahme von Partner:innengewalt kommt. Der deutsche Lesben- und Schwulenverband forderte deshalb die Politik dazu auf, die LGBTIQ-Community in Covid-19-Maßnahmen zu berücksichtigen.
Migrant:innen wurden nur in wenigen Ländern gezielt angesprochen, zum Beispiel in Griechenland, Finnland oder Portugal. Andere Länder haben Frauen aus Roma Communities, LGBTIQ+-Frauen oder Frauen mit vermindertem Hörvermögen zu erreichen versucht. In Großbritannien etwa wurde ein Notfall-SMS-Service für sprech- und hörbehinderte Personen eingerichtet. Gewaltbetroffene konnten sich für dieses Service online registrieren und im Notfall an die Hotline eine SMS mit der Angabe von Aufenthaltsort, Situation und benötigter Unterstützung schicken.
Die Covid-19-Pandemie stellt eine Chance dar, neue Strukturen zu schaffen, um gegen Gewalt gegen Frauen vorzugehen, beziehungsweise bestehende Strukturen besser zu finanzieren, auszubauen und insgesamt also nachhaltiger zu gestalten. Einrichtungen im Gewaltschutzbereich sind seit Jahren unterfinanziert und unterbesetzt, Covid-19 hat diese Unterfinanzierung nochmals deutlicher zutage treten lassen. Die aktuelle Krise, die immer noch anhält, hat bestehende Lücken bei der Bekämpfung von häuslicher Gewalt bzw. Gewalt gegen Frauen und damit auch den Verbesserungsbedarf sichtbar gemacht. Darüber hinaus muss davon ausgegangen werden, dass die wirtschaftlichen Konsequenzen von Covid-19, gestiegene Arbeitslosigkeit und Einkommensverluste, und damit Gewalt gegen Frauen auch nach überstandener Pandemie Thema sein werden – der Zeitpunkt, sich hierauf vorzubereiten, ist jetzt.
Covid-19 war und ist Anlass dafür, dass Gewalt gegen Frauen (wieder) verstärkt wahrgenommen und diskutiert wird. Dieses Problembewusstsein muss als eine Chance gesehen und dafür genutzt werden, dass Gewalt gegen Frauen konstant Thema der Politik bleibt, Expert:innen aus dem Gewaltschutzbereich enger in politische Entscheidungsprozesse einbezogen werden und vor allem eine ausreichende und nachhaltige Finanzierung bestehender Strukturen gesichert ist. Unabdingbar ist dabei, dass Policies immer geschlechtersensibel – und soweit möglich intersektional – geplant und umgesetzt werden. Und schließlich sind kontinuierliche Evaluation und Monitoring von implementierten Maßnahmen und damit zusammenhängend eine stärkere Berücksichtigung von wissenschaftlicher Forschung erforderlich. Die für diese Studie durchgeführte Recherche hat deutlich gemacht, dass zwar teilweise gut bekannt ist, welche Maßnahmen wo durchgeführt wurden, es aber weitgehend an Wissen darüber fehlt, welche Maßnahmen effektiv waren und worin gegebenenfalls Vor- und Nachteile zu sehen sind. Für eine Qualifikation als good practice sind solche Informationen aber erforderlich.