
Projektleitung und Durchführung: | Dr.in Birgitt Haller | |
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Kooperation: | IFES Institut für empirische Sozialforschung GmbH., Wien | |
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Finanzierung: | Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, Abt. V/5 | |
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Fertigstellung: | Oktober 2013 |
Motivation für die Durchführung der Erhebungen, die dieser Studie zugrunde liegen, war einerseits, österreichische Daten für ein EU-Projekt zu “Youth Sexual Aggression and Victimization – Y-SAV” zur Verfügung stellen zu können, andererseits aber auch, die These empirisch zu überprüfen, dass Burschen/ Männer mit Migrationshintergrund sexuelle Aggressionen stärker ausleben als autochthone Österreicher. Diese These basiert auf der in Österreich seit einigen Jahren feststellbaren Überrepräsentanz von Ausländern unter den von der Polizei ermittelten Tatverdächtigen bei Vergewaltigungen1. Aufgrund dieser Fragestellung wurden ausschließlich Männer befragt (und zwar ausschließlich in Wien lebende).
Die Stichprobe umfasst 302 18- bis 25-jährige Männer, die nach den Kriterien Migrationshintergrund, Alter und Bildung ausgewählt wurden: 88 autochthone Österreicher, 80 Männer mit türkischem Migrationshintergrund, 113 Männer, die selbst oder von denen ein Elternteil in einem der jugoslawischen Nachfolgestaaten geboren wurden, sowie 21 Männer mit einem anderen Migrationshintergrund.
Der umfangreiche Fragebogen unterschied zwischen vier unterschiedlichen Formen von Zwang/ Gewalt, drei unterschiedlichen Opfer-Täter-Beziehungen sowie vier unterschiedlichen Sexualpraktiken und beinhaltete Fragen zu Kindheitserfahrungen. Neben Gewalthandlungen wurden Viktimisierungserfahrungen einbezogen. Ergänzend wurden Fragen zu vier Risiko- bzw. Schutzfaktoren gestellt: sexual assertiveness, der Einstellung zu Beziehungsgewalt (dating violence), dem Trinkverhalten und dem Konsum von (Gewalt-)Pornografie.
65 Männer (22%) gaben sexuelle Nötigungen zu und 60 Männer (20%) seien von einer Frau sexuell genötigt worden.
Die Daten wurden einerseits entlang der ethnischen Herkunft ausgewertet. Dabei ist zu beachten, dass trotz der relativ großen Gesamtstichprobe bei der gruppenweisen Auswertung die Fallzahlen häufig gering sind, so dass Ergebnisse nur als Tendenzen angesehen werden können. Unter den Tätern sind Türken bei allen vier Gewaltformen durchgängig überrepräsentiert, das gilt auch für Männer mit Pflichtschulabschluss (unter denen Türken überrepräsentiert sind) bei der Androhung/Anwendung von Gewalt und beim Ausnützen von Schwäche. Männer mit einer gesicherten Arbeitsstelle sind dagegen unterrepräsentiert – möglicherweise, weil sie kein Risiko eingehen wollen, diese zu verlieren, oder auch, weil ihre gesicherten Lebensumstände sie ausgeglichener und weniger aggressiv sein lassen.
Bei der Frage, ob Gewalt gegen eine (Ex-)Partnerin, eine Freundin bzw. Bekannte und/ oder eine zuvor unbekannte Frau ausgeübt wurde, zeigen sich Unterschiede nach der ethnischen Herkunft. So sind etwa Türken gegenüber einer Partnerin und einer ihnen zuvor unbekannten Frau gewalttätiger als Jugoslawen, während vor allem Jugoslawen die z.B. durch Alkohol- oder Drogenmissbrauch bedingte Schwäche einer ihnen vorher Unbekannten ausnützen. Österreicher üben gegenüber der Partnerin weniger verbalen und emotionalen Druck aus als Jugoslawen, bei Freundinnen/ Bekannten verhält es sich umgekehrt. Solche tendenziellen Unterschiede können hier allerdings nur konstatiert werden, um sie zu erklären, müsste man qualitative Forschungsmethoden einsetzen.
Viktimisierungserfahrungen durch Frauen berichteten insgesamt in erster Linie Türken, egal ob durch körperliche Gewalt, weil ihre Schwäche ausgenützt wurde, oder durch verbale/ emotionale Gewalt. Nur körperliche Gewalt durch eine ihnen vorher unbekannte Frau erfuhren vor allem Jugoslawen, die gleichzeitig am seltensten von einer unbekannten Frau sexuell genötigt wurden, während sie “außer Gefecht” waren – Opfer- bzw. Täter-Sein stehen also in keiner spiegelbildlichen Beziehung.
Hinsichtlich des Einflusses von Risikofaktoren auf die Gewaltakzeptanz erwies sich insbesondere Alkoholabusus als relevant, gefolgt von sexuellen Missbrauchserlebnissen in der Kindheit. Während es die jugoslawischen Männer sind, die am häufigsten und im Besonderen in Situationen trinken, in denen sie Sex haben, finden sich die meisten Missbrauchsopfer unter den Türken.
Im Zuge der Erhebung wurde zwar nicht nach Religionszugehörigkeit und Religiosität gefragt, allerdings liegt die Annahme nahe, dass es sich bei denjenigen Türken, die nie Alkohol trinken/getrunken haben, um praktizierende Muslime handelt. Wendet man dieses Unterscheidungskriterium auf die Antworten der Türken zu Beziehungsgewalt an, erweisen sich die Alkohol trinkenden Männer als deutlich aggressiver und frauenfeindlicher als die (vermuteten) Moslems.
Ein zweiter Auswertungsdurchgang erfolgte entlang dem Kriterium Täter bzw. Nicht-Täter. Unter den 65 Tätern finden sich 18 Österreicher, zwanzig Türken, 18 Männer aus jugoslawischen Nachfolgestaaten sowie neun Migranten aus anderen Ländern. Den größten Anteil an ihrer jeweiligen Gruppe haben die türkischen Täter, den kleinsten die Jugoslawen.
Wesentliche Unterschiede zwischen beiden Gruppen bestehen hinsichtlich der Erfahrungen in Kindheit und Jugend. Abwertung und Lieblosigkeit zeigen negative Auswirkungen ebenso wie das (häufige) Miterleben von körperlichen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern und zwischen anderen Familienmitgliedern. Den stärksten Faktor stellt aber sexueller Missbrauch dar, der das Täter-Werden signifikant beeinflusst: Bei allen abgefragten Gewaltformen sind Männer, die als Kind missbraucht wurden, um mindestens das Doppelte überrepräsentiert. Die Viktimisierungsrate ist bei Missbrauchsopfern ebenfalls deutlich erhöht.
Generell häufig Alkohol zu trinken, beeinflusst das Gewaltverhalten nicht zwangsläufig, einen massiven Risikofaktor bedeutet es aber, “so gut wie immer” beim Sex Alkohol zu trinken.
Wenn die Fragebogenerhebung auch Einblicke in die Bedeutung von Risikofaktoren für sexuelles Gewaltverhalten liefert, so bleiben doch viele Fragen offen, die mit qualitativen Methoden beforscht werden müssten. Dazu zählt etwa die Bedeutung von (gruppenspezifisch unterschiedlichen) Männlichkeitsbildern für das Sexualverhalten oder den Alkoholkonsum (aber auch für das Antwortverhalten bei Befragungen). Erklärungen fehlen auch für den hohen Anteil von Männern, die Viktimisierungserfahrungen angeben.
Die Untersuchungsergebnisse verweisen jedenfalls darauf, dass eine Reduktion von Gewalt nicht ausschließlich durch Schutzmaßnahmen für Frauen oder strafrechtliche Verfolgung oder allein durch den Abbau von Geschlechterstereotypen erreicht werden kann, sondern dass es auch – als eine ganz zentrale Voraussetzung – einer gewaltfreien Kindheit und Jugend bedarf.
1 So weist der Sicherheitsbericht der Bundesregierung für das Jahr 2012 bundesweit 883 Anzeigen wegen des Verdachts der (versuchten) Vergewaltigung aus, davon wurden 235 gegen Ausländer erstattet (= 26,6 Prozent). Der Ausländeranteil beträgt dagegen nur rund elf Prozent. Ob sich diese Überrepräsentanz auch in gerichtlichen Verurteilungen niederschlägt, konnte aufgrund fehlender Daten nicht überprüft werden.