2010: Partnergewalt gegen ältere Frauen (Intimate Partner Violence against elderly Women) – Länderbericht Österreich


Projektleitung: Dr.in Birgitt Haller


Durchführung: Mag.a Dr.in Helga Amesberger
Dr.in Birgitt Haller


Finanzierung: Europäische Kommission über Deutsche Hochschule der Polizei
Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz
Bundeskanzleramt/ Bundesministerin für Frauen und öffentlichen Dienst


Webseite: http://www.ipvow.org/


Studie zum Download


Das zweijährige Forschungsprojekt nimmt die Situation älterer Frauen, die Opfer von Gewalt in Partnerschaften wurden, in den Blick. Sieben Forschungseinrichtungen (aus sechs Ländern – neben dem Institut für Konfliktforschung die Deutsche Hochschule der Polizei und Zoom – Gesellschaft für prospektive Entwicklungen e.V. in Deutschland, die Universität Bialystok in Polen, die Akademie der Wissenschaften in Ungarn, die Universität Sheffield im UK sowie das Institut CESIS in Portugal – forschten in den Jahren 2009 und 2010 zum Thema.

Als methodologischen Zugang wählten wir einen Methodenmix, der sich zusammensetzte aus einer Literaturanalyse sowie der Erhebung bereits existierender Daten, einer Fragebogenerhebung in Einrichtungen, die potentiell mit dem Thema konfrontiert sein könnten, sowie Leitfadeninterviews mit ExpertInnen verschiedenster Organisationen und weiblichen Opfern von Partnergewalt.

Die Literaturanalyse und die Auswertung vorliegender Daten zeigte, dass die österreichische Datenlage zu Partnergewalt gegen ältere Frauen sehr lückenhaft ist, es existieren nahezu keine Daten. Zudem besteht das Problem, dass die wenigen Studien und Statistiken teilweise unterschiedliche Kategorisierungen (z.B. bei Altersgruppen oder Tätern) vornehmen, auf nur eine Region beschränkt sind, explorativen Charakter haben und/oder keine Differenzierungen nach Geschlecht oder der Beziehung zum/zur TäterIn vorgenommen werden.

Die meisten Organisationen (insgesamt 111), die sich an der Fragebogenerhebung im Herbst 2009 beteiligten, haben einen Arbeitsschwerpunkt bei familiärer Gewalt, weitere Schwerpunkte lagen bei Gewalt gegen Frauen und Mädchen oder bei psychosozialen Problemlagen von Frauen. Insgesamt war rund die Hälfte der antwortenden Einrichtungen in den Jahren 2006 bis 2009 mit Partnergewalt gegen ältere Frauen konfrontiert (bei mehrheitlich gleich bleibenden Fallzahlen). Die RespondentInnen sind mit der Qualität der eigenen Angebote für ältere Frauen als Opfer von Partnergewalt wegen der zu geringen Ressourcenausstattung, aber auch wegen der bestehenden sozialen Rahmenbedingungen nur wenig zufrieden. Ihren Erfahrungen zufolge erfordere die Arbeit mit älteren Personen eine wesentlich intensivere Befassung, als ihnen möglich sei.

In Bezug auf Partnergewalt im Alter vertreten die 30 interviewten ExpertInnen zwei unterschiedliche Positionen. Die Mehrheit nimmt einen Rückgang von körperlicher und sexueller Gewalt wahr, bei gleich bleibender oder verstärkter psychischer und ökonomischer Gewalt, wobei aber körperliche Übergriffe nie gänzlich aufhören würden. Von anderen wird dagegen eine Zunahme von Gewalt hinsichtlich Intensität und Häufigkeit konstatiert, was damit zusammenhänge, dass (negative) Charakterzüge im Alter stärker zutage treten würden. Außerdem gehe für Männer mit der Pensionierung oft der Lebensinhalt verloren, die soziale Position verändere sich, körperliche Probleme würden verstärkt wahrgenommen – all dies werde von manchen schwer verkraftet und mit Gewalt kompensiert.

Zu den sozialen Merkmalen, die die älteren Klientinnen teilen, gehören insbesondere die ökonomische Abhängigkeit vom Partner und ein eher niedriges Bildungsniveau. Die Interviews legen allerdings nahe, dass in Hinblick auf Einkommen und Schulbildung weiter differenziert werden muss zwischen “jüngeren Älteren”, die 60- bis 70-Jährigen, und “alten Älteren”.

Ältere Frauen suchen bei Partnergewalt selten Hilfe und wenn, dann nur bei schwereren körperlichen Gewalterfahrungen. Das soziale Umfeld weiß meist über die Gewalt Bescheid, erweist sich aber oftmals als “hilfloser Helfer”. Die wichtigsten AnsprechpartnerInnen für Gewaltopfer sind den ExpertInnen zufolge ÄrztInnen, denen jedoch ebenfalls zum überwiegenden Teil Ignoranz und zu langes Zuwarten vorgeworfen wird.

Die für diese Studie interviewten zehn Frauen lebten Jahrzehnte lang in gewalttätigen Beziehungen, bevor sie professionelle Hilfe suchten. Würde die Polizei Vorfälle von häuslicher Gewalt nicht den Gewaltschutzzentren melden und würden letztere nicht von sich aus mit den Gewaltopfern Kontakt aufnehmen, fänden deutlich weniger Frauen Unterstützung bei Opferschutzeinrichtungen. Eine wichtige Rolle beim Verbleib in der Beziehung spielten vor allem ökonomische Abhängigkeiten, aber auch Weltbilder und gesellschaftliche Normen betreffend die Familie und die Rolle von Frauen und Männern sowie fehlende Perspektiven für den Lebensabend. Schließlich verstärkten das Alter des Opfers wie die lange Dauer der Beziehung die Abhängigkeit der Frauen; eine mit dem Alter einhergehende Gebrechlichkeit spielte in den Interviews ausschließlich in Hinblick auf die Ehemänner eine Rolle.

Alle Frauen berichteten von psychischer und physischer, die meisten außerdem von finanzieller Gewalt. Die Erfahrung sexueller Gewalt machten drei Befragte, zwei weitere deuteten eine solche an. Mit einer Ausnahme stellten alle Interviewpartnerinnen fest, dass die Häufigkeit der Übergriffe im Verlaufe der Ehe kontinuierlich zugenommen hatte, und fast alle hatten eine Zunahme der Gewalt nach der Pensionierung des Partners erlebt.

Auch die Interviews mit den Opfern von Partnergewalt ergaben, dass nur wenige ÄrztInnen ernsthafte Interventionsversuche setzten (und statt dessen manchen Frauen jahrelang Psychopharmaka verschrieben wurden) und bei Untersuchungen immer wieder wahrgenommene Körperverletzungen erst sehr spät zur Anzeige gebracht wurden.

Die zentralen Vorschläge der befragten ExpertInnen zielen auf einen möglichst raschen Zugang zu Beratungs- und Hilfseinrichtungen sowie auf altersadäquate Unterstützungskonzepte und -angebote. Weiters wird eine Sensibilisierung und Schulung von ÄrztInnen und Pflegepersonal für die Früherkennung von Gewalt als notwendig erachtet. Insbesondere bedüürfe es einer besseren Kooperation zwischen den in der Betreuung involvierten Einrichtungen; so könne etwa durch die Installierung eines Case-Managements den Klientinnen effektiver und wirtschaftlicher geholfen werden. Auch fehle es an altersentsprechenden und leistbaren Unterbringungs-/Wohnmöglichkeiten für Opfer wie für Täter (und dabei insbesondere für psychisch kranke Gewalttäter). Da das Empowerment der Gewaltopfer ein Bewusstsein über Gewalt, aber auch weitgehende (ökonomische) Eigenständigkeit voraussetze, müssten in der Beratung/Betreuung Lösungen gesucht werden, die altersadäquat seien und den Lebensumständen bzw. -vorstellungen der älteren Frauen gerecht würden.

Die Ergebnisse des Forschungsprojektes sind in sechs nationalen Berichten (auf Englisch und in den Landessprachen) und einem zusammenfassenden Bericht (Englisch) nachzulesen und stehen hier zum Download zur Verfügung.