
Projektleitung: | Dr.in Birgitt Haller | |
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Durchführung: | Dr.in Birgitt Haller Mag.a Veronika Hofinger (Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie) Mag.a Maria Pohn-Weidinger |
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Finanzierung: | Bundesministerium für Justiz | |
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Fertigstellung: | Mai 2007 | |
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Seit 1. Januar 2006 besteht in Österreich ein gesetzlicher Anspruch auf Prozessbegleitung für Personen, die einer vorsätzlich begangenen Gewalttat oder einer gefährlichen Drohung ausgesetzt bzw. in ihrer sexuellen Integrität verletzt worden sein könnten, sowie für nahe Angehörige von Personen, deren Tod durch eine Straftat herbeigeführt worden sein könnte, und für andere Angehörige, die ZeugInnen der Tat waren. Prozessbegleitung umfasst die Unterstützung, Beratung und Begleitung dieser Personen in allen Phasen des Strafverfahrens. Das österreichische Modell der Prozessbegleitung sieht grundsätzlich eine zweifache Betreuung (“duale Prozessbegleitung&dquot;) vor: einerseits die psychosoziale Unterstützung vor, während und nach polizeilichen und gerichtlichen Vernehmungen, andererseits die juristische Prozessbegleitung, also die rechtliche Beratung und Vertretung vor Gericht durch RechtsanwältInnen. Diese Leistungen werden bundesweit von Opferschutzeinrichtungen angeboten, die vom Bundesministerium für Justiz beauftragt und finanziert werden.
Der Hauptteil der Evaluierung basiert auf 79 zwischen April 2006 und März 2007 durchgeführten qualitativen Interviews. Befragt wurden Akteure aus allen Bereichen der Prozessbegleitung: psychosoziale und juristische ProzessbegleiterInnen, Leiterinnen und MitarbeiterInnen von Opferschutzeinrichtungen, VertreterInnen von Polizei, Justiz und Justizverwaltung sowie von Kinder- und Jugendanwaltschaften. Ergänzend konnten Interviews mit 13 erwachsenen Personen, die Prozessbegleitung in Anspruch genommen hatten, geführt werden. Diese Gespräche ermöglichten wichtige Einblicke in die Ängste und Schwierigkeiten, denen OpferzeugInnen im Rahmen eines Strafprozesses ausgesetzt sind, und verdeutlichten den hohen Stellenwert der Prozessbegleitung für Gewaltopfer.
Die Prozessbegleitung wurde in Österreich binnen kurzer Zeit erfolgreich implementiert und ist bei allen eingebundenen Berufsgruppen grundsätzlich akzeptiert. Im Zuge der Evaluierung wurden allerdings einige Problembereiche herausgearbeitet.
Der Zugang zur Prozessbegleitung ist nicht für alle gleichermaßen gewährleistet. Die lokale Konzentration der Opferschutzeinrichtungen in den größeren Städten bedeutet zum einen, dass am Land lebende KlientInnen nicht mit derselben Intensität betreut werden können, aber auch, dass das Angebot der Prozessbegleitung in ländlichen Regionen wohl weniger bekannt ist und entsprechend weniger nachgefragt wird. Darüber hinaus werden die einzelnen Opfergruppen unterschiedlich gut erreicht. Die am besten betreute Gruppe sind Opfer von Sexualstraftaten – und zwar sowohl Opfer im Kindes- und Jugendalter als auch Erwachsene. Im Fall von familiärer Gewalt wird als Effekt des aktiven Zugehens der Interventionsstellen auf die Klientinnen Prozessbegleitung ebenfalls häufig in Anspruch genommen. Aber bei allen anderen Straftaten, bei denen Opfer einen Anspruch auf Prozessbegleitung haben, stellt diese eine große Ausnahme dar. Schließlich fehlen für Personen mit besonderen Bedürfnissen teilweise spezifische Betreuungsangebote: etwa für MigrantInnen, aber auch für Personen mit körperlichen Behinderungen und psychischen Erkrankungen.
Die Information von Gewaltopfern über Prozessbegleitung erfolgt im Regelfall im Zuge der Anzeigeerstattung durch die Polizei. Da sich KlientInnen häufig erst sehr spät an Opferschutzeinrichtungen wenden, ist zu vermuten, dass die Polizei zu wenig über Aufgaben und Nutzen der Prozessbegleitung aufklärt. Darüber hinaus stellt die Exekutive – wie auch manche RichterInnen und StaatsanwältInnen – mitunter den Zweck der Strafverfolgung über die Opferschonung. Sowohl bei der Polizei als auch bei der Justiz muss durch intensive Fortbildungsmaßnahmen die Bedeutung des Opferschutzes stärker vermittelt werden.
Derzeit besteht ein Rechtsanspruch auf Prozessbegleitung ausschließlich im Strafverfahren, was einige ProzessbegleiterInnen kritisierten und ihre Ausdehnung auf zivilrechtliche Verfahren zur Durchsetzung der Schadenersatzansprüche von OpferzeugInnen forderten: Eine umfassende rechtliche Vertretung könne sich nicht auf die bloße Zuerkennung eines Anspruchs beschränken, der erfahrungsgemäß in den meisten Fällen exekutiert werden müsse. Das Bundesministerium für Justiz plant die Umsetzung dieser Forderung.
Eine essentielle Voraussetzung für eine funktionierende Prozessbegleitung, die auch tatsächlich den Opferschutz erhöht, ist schließlich die Vernetzung. Die Zusammenarbeit mit den verschiedenen institutionellen Akteuren ist aus Sicht der ProzessbegleiterInnen nicht nur auf der Einzelfallebene notwendig, sondern es bedürfe darüber hinaus eines kontinuierlichen fallunabhängigen Austauschs, um einerseits einen st&suml;rkeren Ausbau von Opferrechten zu forcieren, andererseits aber auch ein besseres Verständnis der Arbeitsanforderungen und Ansprüche der jeweils anderen beteiligten Akteure zu erreichen. Obwohl auf Bundes- wie auf Länderebene zahlreiche Initiativen zur Vernetzung bestehen, empfanden Opferhilfeeinrichtungen die Etablierung von Kooperationen insbesondere im Bereich der Justiz häufig als schwierig. Auch auf diesen Kritikpunkt hat die Justizverwaltung bereits reagiert und die Durchführung von Vernetzungstreffen angekündigt.