2002: Folgestudie zur Evaluierung des Bundesgesetzes zum Schutz vor Gewalt in der Familie


Projektleitung: Dr.in Birgitt Haller


Durchführung: Dr.in Birgitt Haller
Mag.a Katrin Auer
Mag.a Barbara Liegl


Finanzierung: Bundesministerium für Inneres


Fertigstellung: Juli 2002


Während die Erstevaluierung des Gewaltschutzgesetzes, die im Mai 1999 abgeschlossen wurde, als Überblick über die Implementierung des Gesetzes angelegt war, fokussierte die Folgestudie auf Problembereiche bzw. auf Bereiche, bei denen sich Änderungen gegenüber der ersten Erhebung ergeben hatten. Im einzelnen waren das:

  • die längerfristigen Effekte von Polizeiinterventionen auf die Gewaltbeziehung
  • der Umgang der Strafjustiz mit Gewalt in der Familie
  • die Täterarbeit
  • die Situation von Migrantinnen und
  • Gewalt gegen Kinder.

In der Folge sollen kurz einige zentrale Ergebnisse resümiert werden.

Längerfristige Effekte auf die Gewaltbeziehung

Um die längerfristigen Effekte der Polizeiinterventionen auf die Gewaltbeziehung zu erheben, wurden 22 Frauen befragt, die von ihren (Ex-)Partnern bedroht oder angegriffen worden waren. Fast zwei Drittel von ihnen waren bereits im Rahmen der Erstevaluierung des Gewaltschutzgesetzes befragt worden, so dass von ihnen Interviews in einer Zeitreihe vorlagen. Mehr als die Hälfte der Befragten war zum Zeitpunkt des zuletzt mit ihnen geführten Interviews vom Ehe-/Lebenspartner geschieden oder getrennt, bei den übrigen war etwa gleich häufig ein Scheidungsverfahren anhängig bzw. die Beziehung noch aufrecht. Die Mehrzahl der Frauen, die weiterhin mit ihrem Partner lebten, berichteten über neuerliche Gewalterfahrungen, aber sie hatten nicht die Kraft für eine Trennung, konnten sich aus Angst vor dem Partner nicht lösen bzw. waren von ihren Partnern ökonomisch abhängig.

Ein Drittel der Befragten äußerte sich dezidiert positiv über das Gewaltschutzgesetz bzw. über die Folgen von Wegweisung/Betretungsverbot. Einerseits zeigten die Interventionen der Exekutive Wirkung auf die gewalttätigen Männer, die verstanden hätten, dass sie in Folge neuerlicher Übergriffe mit Bestrafung rechnen müssten. Andererseits stärkten Wegweisung/Betretungsverbot die Selbstsicherheit der Frauen, weil sie es gewagt hatten, mit ihren Problemen an die Öffentlichkeit zu gehen, bzw. war ein Betretungsverbot die notwendige Rahmenbedingung für Frauen, um in Ruhe eine Entscheidung zu treffen.

Deutlich wurde bei den Interviews auch die zentrale Rolle, die den Interventionsstellen im Gewaltschutz zukommt. Mehrere Frauen trennten sich nicht nach der ersten Polizeiintervention, waren mit weiteren Übergriffen konfrontiert und erst die neuerliche Verhängung von WW/BV gab den Anstoß für die Trennung. Sie erklärten dies mit Entwicklungsschritten, die notwendig gewesen seien, um die Gewaltspirale zu durchbrechen, und genau dieses empowerment wird von den Interventionsstellen geleistet.

Strafjustiz

Ein Gutteil der Strafverfahren in Zusammenhang mit Gewalt in der Familie wird eingestellt. Die Auswertung der Tagebücher der Staatsanwaltschaften Wien und Salzburg aus dem ersten Halbjahr 2001 ergab, dass bei rund jeder zweiten Körperverletzungsanzeige eine Verfahrenseinstellung erfolgte, rund ein Drittel der Verfahren wurde diversionell erledigt und bei durchschnittlich jedem siebten wurde ein Strafantrag gestellt. Nur jede dritte Einstellung erfolgte auf Grund der Zeugnisentschlagung des Opfers; häufig kam es wegen der “mangelnden Strafwürdigkeit der Tat” zu einer Einstellung. Beim Verdacht der gefährlichen Drohung wurden mehr als 60 Prozent der Verfahren eingestellt, in rund jedem siebten Fall wurde diversionell vorgegangen, und zu etwa einem Viertel erfolgten Strafanträge.

Die wichtigste Diversionsmaßnahme bei familiärer Gewalt war im Jahr 2000 bundesweit der Außergerichtliche Tatausgleich (ATA) mit einem Anteil von fast zwei Dritteln, an zweiter Stelle lag mit rund 17 Prozent die Verhängung einer Geldbuße. Die Auswertung von Tagebüchern der Staatsanwaltschaften Wien und Salzburg ergab, dass der ATA bei Fällen von familiärer Gewalt in Wien einen Anteil von rund drei Vierteln und in Salzburg von fast 90 Prozent aller Diversionsmaßnahmen erreichte. Die übrigen Diversionsfälle konzentrierten sich auf Geldbußen bzw. das Aussprechen von Probezeiten ohne Zusatz, wobei Geldbußen vor allem in Wien verhängt wurden.

Die Mehrheit der befragten ExpertInnen äußerte sich grundsätzlich auch beim Vorliegen von familiärer Gewalt dem ATA gegenüber trotz vereinzelter Kritikpunkte positiv. Anders die Haltung der Interventionsstellen in Wien und in Salzburg: Ihnen zufolge sollten in Fällen von familiärer Gewalt in erster Linie Strafverfahren durchgeführt werden und ein ATA nur dann in Betracht kommen, wenn klar sei, dass das Opfer vor Gericht nicht aussagen wolle.

Täterarbeit

Die Evaluierung der Täterarbeit der Wiener Männerberatungsstelle basiert auf Interviews mit den dortigen Projektverantwortlichen, mit Vertreterinnen der Wiener Interventionsstelle sowie mit Gewalttätern und deren Partnerinnen. Zum Zeitpunkt der Untersuchung wurde das Trainingsprogramm bereits zum dritten Mal durchgeführt (Beginn: Januar 2002).

In das Täterprogramm sollen vorwiegend Klienten aufgenommen werden, die im Zuge von Diversionsmaßnahmen, mittels einer gerichtlichen Auflage oder Weisung bzw. einer schriftlichen Vereinbarung z.B. mit dem Jugendamt zugewiesen werden. Vor der Aufnahme in die Gruppe finden ein Erstgespräch mit den Projektverantwortlichen und im Anschluss daran eine Anamnese statt, um abzuklären, ob der Mann für die Trainingsteilnahme motiviert bzw. motivierbar und gruppenfähig ist. In dieser Vorphase ist weiters ein Gespräch mit der Partnerin des Mannes vorgesehen, um sie über Inhalte und Ziele des Trainings zu informieren sowie genauere Informationen über die Gewalttätigkeit des Mannes zu erfragen. Bei dieser Gelegenheit werden die Frauen auch auf die Tätigkeit der Interventionsstelle und auf die Notwendigkeit von Sicherheitsmaßnahmen während des Trainings hingewiesen. Da sich der Kontakt mit den Partnerinnen häufig schwierig gestaltet, ist es essentiell, dass bei Beginn wie auch während des Trainingsprogramms ein Austausch der Projektverantwortlichen mit der zuweisenden Institution erfolgt. Nach Abschluss des Trainings erfolgen in größeren Zeitabständen Einzelgespräche mit allen Absolventen, die der Sicherung des gelernten Verhaltens dienen sollen.

Das Anti-Gewalt-Training wurde von den interviewten ATA-MitarbeiterInnen für ihre Klientel als zu hochschwellig empfunden. Längerfristig wäre daher zu überlegen, ob ein vielfältigeres Angebot durch die Männerberatung möglich ist, allerdings unter der Voraussetzung, dass Alternativmaßnahmen ähnlich positive Effekte wie das bestehende Trainingsprogramm zeitigen.

Migrantinnen

Während zum Zeitpunkt der Erstevaluierung Migrantinnen unter der Klientel der Interventionsstellen deutlich unterrepräsentiert waren, wiesen bei der Folgeuntersuchung sämtliche IST einen im Vergleich mit den Bevölkerungszahlen deutlich überhöhten Migrantinnenanteil an ihrer Klientel aus, der vermutlich deren realer Gewaltbetroffenheit entspricht. Noch stärker als bei den IST sind Migrantinnen allerdings in den Frauenhäusern überrepräsentiert. Von befragten Expertinnen wurde mehrfach vermutet, dass Migrantinnen Zuflucht in den Frauenhäusern suchen müssten, weil das Gewaltschutzgesetz bei ihnen nicht greife. Als Gründe dafür wurden Sprachprobleme, soziale Isolation, Unkenntnis über das Gesetz und Ängste vor einem Einschreiten der Polizei genannt. Vermutet wurde aber auch ein Überfordert-Sein der Exekutive, die gerade bei MigrantInnen Gewalt nicht erkenne und eher zu Streitschlichtungen greife. Ein weiteres Problem wurde darin gesehen, dass ExekutivbeamtInnen die Verhängung eines Betretungsverbotes “im Nachhinein” häufig verweigern würden, so dass Frauen, die als erste Reaktion ein Frauenhaus aufsuchen, kaum eine Chance auf ein Betretungsverbot hätten und im Frauenhaus verbleiben müssten.

Festzuhalten ist, dass Migrantinnen neben personaler Gewalt zusätzlich struktureller Gewalt ausgesetzt sind: durch das Aufenthalts- und Beschäftigungsrecht, durch den Ausschluss von Sozialleistungen, durch fehlende oder geringe Sprachkenntnisse. Wenn eine fehlende rechtliche Absicherung in der neuen Heimat und Existenzängste Migrantinnen den Weg zur Polizei verunmöglichen, können diese Frauen letztlich aus der Gewaltspirale nicht ausbrechen. Nach dem Verlassen des Frauenhauses bleibt ihnen häufig nur der Weg zurück zum Gewalttäter. Vor diesem Hintergrund fordern die IST seit Jahren ein eigenständiges Aufenthalts- und Beschäftigungsrecht für Migrantinnen.

Kinder

Bei der Schaffung des Gewaltschutzgesetzes stand Gewalt gegen Frauen im Vordergrund, nicht Gewalt gegen Kinder – dies hat zur Folge, dass der Gewaltschutz für Frauen besser funktioniert als für Kinder. Von der Exekutive werden Betretungsverbote fast ausschließlich zugunsten von gefährdeten Frauen verhängt, kaum zugunsten von (ebenfalls) gewaltbetroffenen Kindern, und die Jugendwohlfahrt nutzt nach wie vor in sehr geringem Ausmaß das Instrument der Einstweiligen Verfügung zum Schutz von Kindern.

Die Statistiken der Interventionsstellen weisen österreichweit für Familien, in denen die Mutter misshandelt wird, eine durchschnittliche Gewaltbelastung der Kinder von rund 25 Prozent bei direkter Gewalt und von 60 Prozent bei mittelbarer, miterlebter Gewalt aus. Die interviewten gewaltbetroffenen Mütter gaben zu zwei Dritteln an, dass ihre Partner auch gegen die Kinder Gewalt angewendet hätten, und zwar zu jeweils gleichen Teilen körperliche bzw. psychische Gewalt.

Die Gesprächspartnerinnen aus der Wiener MAG ELF wiesen darauf hin, dass sich die Haltung ihrer Behörde gegenüber dem Gewaltschutzgesetz seit dessen Inkrafttreten geändert habe: Kinder seien aus der Sicht des Jugendamts von familiärer Gewalt immer mitbetroffen und die Behörde müsse daher in solchen Fällen tätig werden. Die geringe Zahl der Anträge auf Gewaltschutz-EVs wurde damit erklärt, dass die Antragstellung nur dann sinnvoll sei, wenn diese Maßnahme von der Mutter mitgetragen werde.