Projektteam: | Mag.a Dr.in Helga Amesberger (Leitung) Mag.a Dr.in Brigitte Halbmayr Mag.a Elke Rajal |
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Finanzierung: | Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank Projektnummer: 18058 |
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Fertigstellung: | Juni 2020 |
Das Projekt „Stigma ‘asozial‘“ wurde als Folgeprojekt zur Studie „‘Asozial‘ im Nationalsozialismus und die Fortschreibung im Nachkriegsösterreich. Weibliche Häftlinge im KZ Ravensbrück und KZ Uckermark“ (Fertigstellung 2018) durchgeführt und im Juni 2020 abgeschlossen.
Im Bericht werden zu Beginn die Grundlagen der Stigmatisierung als ‚asozial‘ erläutert: Wie kam es dazu, was waren die ideologischen Voraussetzungen und Absichten, welche Folgewirkungen zeigte eine derartige Stigmatisierung für die Betroffenen. Ein Abschnitt dieses Grundlagenkapitels beschäftigt sich mit dem Verhältnis von ‚asozial‘ und ‚kriminell‘, die eng zusammenhingen, galt doch den Nationalsozialisten die ‚Kriminalität‘ als eine gesteigerte Form der sehr breit gefassten ‚Asozialität‘. Dabei wird auf die Frage eingegangen, wie weit die Zuschreibungen geschlechtsspezifisch ausfielen, d.h. ob etwa Männer mehrheitlich ‚kriminell‘ und Frauen eher als ‚asozial‘ stigmatisiert wurden. Ein weiteres Kapitel widmet sich den wichtigsten Behörden als Stigmatisierungs- und Verfolgungsorgane; hier wurde insbesondere die Rolle der Kriminalpolizei, aber auch die Bedeutung der Fürsorge herausgearbeitet. Unter dem Titel „Kontaminierte Orte“ werden die verschiedenen Anstalten analysiert, in die österreichische Frauen als ‚asozial‘ Stigmatisierte zwangsweise verbracht wurden: Neben den drei bereits in der ersten Studie eingehend thematisierten Arbeitsanstalten Am Steinhof, Klosterneuburg und Znaim gehen wir hier insbesondere auf die Arbeitsanstalt Bischofsried ein, aber auch auf Abteilungen in Psychiatrien oder auf Erziehungsheime sowie auf geplante, aber nicht realisierte Orte. Im Kapitel „Opfer eines bevölkerungspolitischen Wahns – die als ‚asozial‘ Verfolgten“ liegt der Schwerpunkt auf quantitativen Analysen: etwa zum Ausmaß der Einweisungen aus den vier analysierten Gauen Wien, Niederdonau, Oberdonau und Steiermark sowie auf den soziodemografischen Merkmalen der betroffenen Frauen (und auch Männer).
Einige Ergebnisse der Studie:
Die zahlreichen analysierten Einweisungsbescheide in Arbeitsanstalten und viele weitere Dokumente belegen eindeutig den Umstand, dass die Stigmatisierung als ‚asozial‘ bei Frauen – im Unterschied zu den Männern – in erster Linie anhand der ihnen unterstellten Sexualität erfolgte. Also anhand eines Sexualverhaltens, das von den Behörden folgende Charakterisierungen erhielt: „hemmungslose Triebhaftigkeit“, „sexuelle“ oder „sittliche Verwahrlosung“, „liederlicher“ oder „haltloser Lebenswandel“, „Hang zu Männerbekanntschaften“ usw. Sehr häufig wurde ihnen Geheimprostitution unterstellt, Sexarbeiterinnen galten generell als ‚asozial‘.
Neben dem Sexualverhalten war es die angeblich fehlende Arbeitsmoral, die zur Kategorisierung als ‚asozial‘ führte. So wurden Frauen unter Vorwürfen wie „Arbeitsvertragsbruch“, „unerlaubtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz“ oder „Arbeitsbummelei“, so die Diktion in den behördlichen Dokumenten, verurteilt. Vielfach überschnitten sich in den Begründungen der vermeintlichen ‚Asozialität‘ diese beiden Argumentationsstränge, sodass die Zuschreibung der ‚Verwahrlosung‘ sowohl sittliche als auch arbeitsmoralische Komponenten aufwies.
Kennzeichnend für die Verfolgung der als ‚asozial‘ Stigmatisierten ist weiters das Fehlen einer allgemein gültigen Definition von ‚Asozialität‘. Daher diente die Richtlinie zur Umsetzung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (1940) als Einordnungsgrundlage; diese umriss in vier grob gezeichneten Punkten, welche Verhaltensweisen auf angebliche ‚Asozialität‘ hinweisen würden. Die sogenannte ‚Asozialen‘-Verfolgung ist damit als Teil der eugenischen Bevölkerungspolitik der Nationalsozialisten zu sehen. Das breite Spektrum der Richtlinie ermöglichte denn auch ein entsprechend umfassendes Verfolgungsausmaß.
Die Umsetzung der Politik gegen als asozial stigmatisierte Menschen betrieben zahlreiche Verwaltungsstellen und Behörden: allen voran die Fürsorgeämter, samt Jugendämtern und den Gesundheitsbehörden. Ebenso eingebunden waren die Arbeitsämter, Krankenkassen, die Gendarmerie und die Polizei. Das Rassenpolitische Amt – eine Teilorganisation der NSDAP – gab die Leitlinien für das vernetzte Vorgehen vor. Eine sozusagen österreichische Besonderheit waren die sogenannten Asozialenkommissionen. Sie sollten das behördliche Prozedere straffen. Solche ‚Asozialenkommissionen‘ gab es in den Gauen Wien, Niederdonau, Steiermark und Salzburg. Treibende Kraft hinter ihnen war das Rassenpolitische Amt, die Behörden arbeiteten also im Dienst der Partei. Laut einer internen Statistik für den Zeitraum Jänner 1941 bis Ende Juli 1944 empfahl die Wiener Asozialenkommission für 651 Frauen eine Einweisung in Arbeitsanstalten, Trinkerheilstätten oder Konzentrationslager. Im Gau Wien kamen die Frauen in die Arbeitsanstalten Klosterneuburg und Am Steinhof. Frauen aus anderen Gauen wurden überwiegend in den Arbeitsanstalten Bischofsried und Znaim angehalten. Dort erwartete sie nicht nur Zwangsarbeit, Drill und Schikane, sondern in einigen Fällen auch Zwangssterilisation.
Die ‚Asozialen‘-Verfolgung traf besonders auch Jugendliche. Eine wesentliche Rolle spielte dabei die Reichszentrale zur Bekämpfung der Jugendkriminalität, die am 1. Juli 1939 beim Reichskriminalpolizeiamt eingerichtet wurde. Sie organisierte die kriminalpolizeiliche Überwachung von Kindern und Jugendlichen, die – wie es hieß – „erblich kriminell vorbelastet“ schienen.
Eine entscheidende Rolle bei der Einstufung als ‚asozial‘ und den zu setzenden Maßnahmen kam den Fürsorgerinnen zu. Sie waren in der NS-Zeit fester Bestandteil im System der sogenannten ‚Negativauslese‘, also des gesellschaftlichen Ausschlusses. Sonderschulen und Erziehungsheime wurden zu Orten der ‚Absonderung‘ und ‚Verwahrung‘ für jene, die von der geltenden Norm abwichen. Diese ‚Auslese‘ erfolgte aber auch in Jugendfürsorgeanstalten oder sogenannten Beobachtungsstellen und konnte eine Einweisung in ein Jugendkonzentrationslager zur Folge haben.
Einweisungsgründe waren etwa Vorwürfe wie „Renitenz“, „Kriminalität“, „Arbeitsverweigerung“, „Arbeitsbummelei“, „Sabotage“, „sittliche oder sexuelle Verwahrlosung“ oder sogenannte „Rassenschande“; aber auch die Zugehörigkeit zu jugendlichen Subkulturen (wie der Swing-Jugend bzw. Schlurfs, so deren Bezeichnung in Wien).
Deutlich zeigt sich bei der Verfolgung von sogenannten ‚Asozialen‘, dass es sich dabei um eine Politik gegen Arme handelte, die stark von Sexismus, Rassismus und auch Klassismus geprägt war.
Die Ergebnisse der Studie erschienen unter dem Titel „Stigma ‚asozial‘ – Geschlechtsspezifische Zuschreibungen, behördliche Routinen und Orte der Verfolgung im Nationalsozialismus“ im Herbst 2020 im Mandelbaum Verlag.