1995: Möglicheiten der Sozialpartnerschaft in Slowenien


Projektleitung: Univ.-Doz. Dr. Albert F. Reiterer


Durchführung: Mag. Brigitte Halbmayr
Dr. Birgitt Haller
Dr. Igor Lukšic


Finanzierung: Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank, Projekt Nr. 4933


Fertigstellung: Dezember 1995


Nach der Erhebung der “Möglichkeiten sozialpartnerschaftlicher Konfliktregelung in der Tschechischen und Slowakischen Republik” (1992/1993) wurden in einem weiteren östlichen Nachbarstaat Österreichs die Schwierigkeiten und Chancen der Institutionalisierung sozialpartnerschaftlicher Einrichtungen untersucht. Der Projektbericht wurde nach eineinhalbjähriger Forschungsarbeit im Mai 1995 abgeschlossen. Das Forschungsdesign wurde in österreichisch-slowenischer Zusammenarbeit entwickelt, in der Folge ergab sich eine Arbeitsteilung dahingehend, daß sich der slowenische Kollege vor allem auf die Datenerhebung und die Durchführung der Interviews konzentrierte, während es Aufgabe der österreichischen Wissenschafterinnen war, die Forschungsergebnisse zu formulieren und vor dem Hintergrund der österreichischen Literatur zur Sozialpartnerschaft zu analysieren und zusammenzufassen.

Slowenien hat eine lange korporatistische Tradition, deren Wurzeln zum einen in den Enzykliken Rerum Novarum (1891) und Quadragesimo Anno (1931) liegen, zum anderen im jugoslawischen Selbstverwaltungssystem. In der sozialistischen Republik Jugoslawien wurden Kammern auf allen staatlichen Ebenen geschaffen, die politische Repräsentation erfolgte über Berufsgruppen. In dieser Tradition ist die Einrichtung des Staatsrates durch die Verfassung der Republik Slowenien im Dezember 1991 als zweite parlamentarische Kammer, die sich nach berufsständischen und regionalen Kriterien zusammensetzt, zu sehen. Innerhalb des politischen Systems hat der Staatsrat nur sehr beschränkte Kompetenzen, er verfügt nur über ein suspensives Veto, aber er fungiert damit als eine Art Aufsichtsorgan. Das zweite tripartistische Organ ist der Wirtschafts- und Sozialrat, der im April 1994 auf Druck der Gewerkschaften eingerichtet wurde.

Der slowenische Wirtschafts- und Sozialrat ist mit ähnlichen Problemen wie seine Pendants in der Tschechischen und der Slowakischen Republik konfrontiert. Seine Entscheidungen sind zwar nach den Statuten verbindlich, de facto setzt sich die Regierung aber darüber hinweg. Der Rat ist damit kein eigenständiger politischer Machtfaktor, sondern eher ein Beratungsorgan für die Regierung. Obwohl es (teilweise intensive) Kooperationen zwischen Verbändevertretern und politischen Parteien gibt, wird eine institutionalisierte Verflechtung zwischen Verbänden und Parteien von allen Beteiligten abgelehnt. Wichtiger als die Zusammenarbeit mit Parteien ist diejenige mit Abgeordneten – das Lobbying nimmt breiten Raum ein. Auf der Arbeitnehmerseite gibt es keine dem österreichischen Kammersystem entsprechende Pflichtmitgliedschaft, nur auf der Arbeitgeberseite bestehen zwei Kammern. Auf der Gewerkschaftsseite besteht keine Monopolisierung der Verbandsinteressen, nur die größten Gewerkschaften sind in die Tripartität eingebunden, die Vielzahl von kleineren begehrt dagegen auf. Bei den Arbeitgebern ist der Konzentrationsgrad der Verbandsinteressen deutlich höher, wird aber dadurch beeinträchtigt, daß wegen der langsam voranschreitenden Privatisierung auch die Regierung noch häufig als Arbeitgeber fungiert.

Obwohl es in Slowenien eine lange korporatistische Tradition gibt, deren Grundgedanke sich etwa im berufsständisch besetzten Staatsrat oder in der Existenz von Kammern widerspiegelt, obwohl ein sozialpartnerschaftlich besetzter Wirtschafts- und Sozialrat eingerichtet wurde, neigt Slowenien im Spannungsfeld zwischen korporatistischem und lobbyistischem System doch eher dem Lobbysystem zu: Der zentrale Machtfaktor Regierung behindert die korporatistischen Institutionen.