2001: Türkische Imame in Wien


Projektleitung: Univ.-Prof. Dr.in Susanne Heine


Durchführung: Mag.a Sabine Kroißenbrunner
Mag.a Barbara Liegl


Finanzierung: Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank, Projekt Nr. 7798


Fertigstellung: Mai 2001


Das Forschungsprojekt hat die Darstellung und Analyse der Situation und Tätigkeiten türkischer Imame in Wien zum Ziel. Der Hintergrund des Forschungsinteresses ist in der mangelnden Aufarbeitung des Zusammenhangs zwischen Migration und Religion in Europa, v.a. aber in Österreich zu finden. Die Forschungsergebnisse sollen die Untersuchungen über sozio-politische Netzwerke, Organisationen und Vereine von türkischen MigrantInnen ergänzen bzw. um eine Reihe von Fragestellungen vertiefen. Eine zentrale Fragestellung im Kontext von Migration und Religion ist jene der religiösen Betreuung und der religiösen Führung nach Europa zugewanderter MuslimInnen. Im Islam sind im Kontext der Migration für seine Verkündigung, die Unterweisung in religiösen Angelegenheiten, die Führung im Gebet (um nur einige zentrale Bereiche zu nennen) v.a. die Imame, die sog. “Vorbeter” berufen. Die Untersuchung beschränkt sich aus zwei Gründen auf die türkischen Imame in Wien (die Zahlen schwanken dzt. zwischen 20-25): Erstens stellen die türkischen MuslimInnen noch immer die größte herkunftshomogene Gruppe der MuslimInnen in Österreich und Wien, zweitens ist eine Analyse von Imamen, die einen sehr ähnlichen Herkunfts- und Bildungshintergrund haben (Türkei) bzw. sich um dasselbe Klientel kümmern müssen, aussagekräftiger. Zehn Imame wurden in Einzel- und Gruppengesprächen anhand qualitativer Interviewleitfäden befragt.

Projektinhalt ist die Darstellung der Situation, Aufgaben und Tätigkeiten der Imame in Wien. Diese erfolgt vor dem Hintergrund der Beschreibung der religionsrechtlichen Lage in Österreich und ausgewählten europäischen Staaten, einer Debatte über die Bedeutung der Imame für die Kategorie “Muslim Leadership” und die Entwicklung eines “europäischen Islam”, über die Entwicklung und Aufgaben der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich sowie ihre Bedeutung im Kontext der sozio-politischen Netzwerke türkischer MigrantInnen in Wien. Ziel ist es, Empfehlungen zur verbesserten Integration der Imame durch muslimische und österreichische Institutionen zu formulieren.

In der Europäischen Union sind die gesetzlichen und formalen Rahmenbedingungen der Tätigkeit türkischer Imame in Österreich – mit der Ausnahme der staatlichen Anerkennung des Islam auch in Belgien – einzigartig. Dies trifft auf die gesetzliche Anerkennung des Islam zu, die bereits im 19. Jahrhundert bzw. schließlich mit dem Islamgesetz 1912 erfolgte, d.h. in Österreich nicht Ergebnis der Arbeitsmigration von MuslimInnen seit den 1960er Jahren nach Europa ist. Die Institutionalisierung des Islam in der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, hingegen ist einerseits Ausfluss dieser gesetzlichen Anerkennung, andererseits aber in Entstehung, Entwicklung und heutiger Situation von eben dieser Migration von MuslimInnen unterschiedlicher Herkunft und Auffassungsrichtungen innerhalb des Islam sowie ihrer Entsendestaaten (Türkei et al.) geprägt.

Tätigkeitsprofil und Erfolg der Aufgabenerfüllung durch die Imame hängen maßgeblich von diesen Grundlagen (rechtliche Anerkennung, Institutionalisierung des Islam) und ihrer Ausgestaltung ab. In Österreich werden diese maßgeblich von der IGGiÖ, der Vertretung des türkischen Präsidiums für religiöse Angelegenheiten (Diyanet) in Österreich (ATIB) sowie den sozio-politischen Netzwerken und Moschee-Vereinen bestimmt. All diese Institutionen sind vor allem, neben den sozialen und politischen Bedingungen der Einwanderungsgesellschaft, für das Spannungsfeld, in dem sich die Imame bewegen und ihre Aufgaben erfüllen müssen, verantwortlich. Die Studie argumentiert, dass diese Konflikte und ihre Konsequenzen für die Imame und ihre Integration bisher zu sehr vernachlässigt wurden. Weder muslimische noch österreichische Institutionen haben die für die Vermittlung in diesen Spannungen nötige Sensibilität gezeigt noch zielführende Anstrengungen unternommen.

Die türkischen Imame stellen eine wichtige Kategorie in der Vielzahl von Formen der religiösen Repräsentanz des Islam dar. Aufgrund mangelnder Ausbildungsinstitutionen für Imame in Europa bzw. der oftmals schwierigen Prozesse, die die Entstehung solcher Einrichtungen – etwa in Österreich – begleiten, und des fehlenden Konsensus innerhalb der islamischen Gemeinschaft(en) ist die Rolle der Imame zu wenig sichtbar, sind Denkstrukturen oder Forderungen für bzw. gegen Integration zu wenig deutlich wahrnehmbar. Die persönliche Situation der Imame (soziale und berufliche Infrastruktur, Einkommen, Familiennachzug, Wohnungssituation, Sprach- und Landeskenntnisse etc.), ihre Vertrags- und Arbeitsbedingungen sind nach wie vor uneinheitlich, intransparent und unzufriedenstellend geregelt. Ihre eigentliche Aufgabenbeschreibung, die Erwartungen an sie und die tatsächlichen Möglichkeiten, diese zu erfüllen, stellen die Imame vor zahlreiche Probleme. Die bestehenden muslimischen Organisationen haben sich noch nicht ausreichend dieser Situation angenommen, und österreichische Institutionen haben diese Situation größtenteils bisher negiert.

Anhand der Kategorie von “Muslim Space” beschreibt und analysiert die Studie Aufgaben, Funktionen und Bewältigungsstrategien der Imame in ihrer eigenen Gemeinde, ihren Moschee-Vereinen und in der österreichischen Gesellschaft. Der in der Heimat vorgefundene “Muslim Space” (Gemeinde, Moschee etc.) ist hier völlig anders gestaltet. Die Imame, so eine Schlussfolgerung der Studie, sind in der Migration in ihrem Aktivitätsradius erheblich “limitiert”, obwohl die Anforderungen an sie – im Gegensatz zur Situation in der Heimat – zunehmen.

Schließlich befasst sich die Studie mit dem “Dialog” zwischen den Religionen, wobei dieser Begriff sehr weit gefasst wird und die Auseinandersetzung der Imame und ihre Strategien im Umgang mit der österreichischen Gesellschaft als Individuen bzw. im Rahmen ihrer Institutionen inkludiert. “Dialog” bedeutet hier auch den Umgang mit Problemen, die aus der Situation der Diaspora für Mitglieder ihrer Gemeinde entstehen (in Ehe, Familie, Beruf, Schule etc.). Die Studie gibt zu den oben erwähnten Kategorien Empfehlungen für eine aktivere und direkte Einbeziehung der Imame in den gesellschaftlichen und inter-religiösen Dialog. Die entsprechenden Institutionen werden aufgefordert, gemäß ihren Schwerpunkten die Imame als Partner direkt anzusprechen.