Projektteam: | Viktoria Eberhardt, BA Bakk.phil MA Brigitte Temel, BA BSc MA |
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Projektleitung: | Dr.in Karin Schönpflug (Institut für Höhere Studien – IHS) | |
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Finanzierung: | EuroCentralAsian Lesbian* Community (EL*C) | |
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Fertigstellung: | Dezember 2022 |
Ziel des Projekts ist es, Bedürfnisse, Herausforderungen und Erfahrungen älterer Lesben*1 zu erheben, um Auswirkungen von Faktoren wie Geschlecht, Geschlechtsausdruck, sexueller Orientierung und Alter auf ihre Lebenssituation zu analysieren. Die Untersuchung erfolgte in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und bezog sich auf sozioökonomische Herausforderungen für ältere Lesben*, insbesondere finanzielle und Wohnfragen nach dem Ruhestand, sowie auf Barrieren beim Zugang zu Gesundheitsversorgung, Sozialfürsorge und Langzeitpflege sowie die Auswirkungen systematischer Diskriminierung auf die psychische Gesundheit. Die Forschung zielt darauf ab, bewährte individuelle und kollektive Strategien hervorzuheben, die von älteren LBTIQ-Frauen und nicht-binären Personen, Organisationen und Institutionen geschaffen wurden, um die Auswirkungen systematischer Diskriminierung und Unterdrückung in ihrem täglichen Leben abzufedern.
Das multimethodische Forschungsdesign beinhaltet (1) eine Desktop-Recherche zu relevanten Vorstudien sowie Good Practices in den EU-Mitgliedsstaaten, (2) eine vertiefende Auswertung der Daten, die von der Fundamental Rights Agency (FRA) 2019 erhoben wurden und (3) 15 qualitative Interviews mit älteren LBTIQ-Frauen und nicht-binären Personen.
Das Ergebnis der Desktop-Recherche ist ein Überblick über relevante Studien, Projekte und Good-Practice-Beispiele. Für 15 Länder konnten keine studienrelevanten Inhalte ausfindig gemacht werden, konkret: Bulgarien, Kroatien, Zypern, Estland, Ungarn, Island, Italien, Litauen, Liechtenstein, Lettland, Luxemburg, Norwegen, Polen, Rumänien und Slowakei. In jenen Mitgliedsstaaten, in welchen es länderspezifische Studien zur Situation von LGBTIQ gibt, wurde die Gruppe der älteren LBTIQ-Frauen* wenig oder gar nicht in den Blick genommen – selbst in den (quantitativen) Studien, in denen Alter oder Altern ein Thema war. Wenn das hohe oder höhere Alter von LGBTIQ in Studien, Artikeln und dergleichen thematisiert wurde, lag der Schwerpunkt oft auf Pflege- oder Senior:innenheimen; andere Aspekte des höheren Alters wurden meist nicht berücksichtigt.
Insgesamt gibt es wenig wissenschaftliche Daten zur Lebenssituation älterer LGBTIQs im europäischen Raum; insbesondere zur Situation von LBTIQ Frauen* liegen kaum Daten vor, intersektionale Perspektiven werden selten herausgearbeitet. Ältere LGBTIQ-Personen sind in ihren eigenen Gemeinschaften oft unsichtbar oder ausgegrenzt; generationenübergreifende Initiativen oder altersspezifische Angebote von und für die Gemeinschaft werden gut angenommen. Der allgemeine Trend geht dahin, dass die meisten älteren LGBTIQ-Personen so lange wie möglich in ihrer eigenen Wohnung leben möchten. Wenn Pflege erforderlich ist, wünschen sie sich LGBTIQ-sensibles Personal.
Die quantitative LGBTI-Befragung der FRA ist der einzige EU-weite Bezugsrahmen für die Lebenssituation von LGBTI-Personen. Bei der genaueren Auswertung des Datensatzes stellte sich die Zusammensetzung der Befragungsteilnehmer:innen als ungeeignet heraus, um davon Aussagen über unsere Zielgruppe abzuleiten. Insgesamt setzt sich der Datensatz zu einem großen Teil aus jungen Studierenden in städtischen Kontexten zusammen. Zudem sind schwule Männer in allen Altersklassen überrepräsentiert. Für die Gruppe der Lesben* im Alter von 55+ Jahren wurde in manchen EU-Mitgliedsstaaten keine einzige Person erreicht – in einigen weniger als zehn. Für lediglich drei Länder (Niederlande, Dänemark und Irland) erreichte die FRA eine Stichprobengröße, die für die Zielgruppe repräsentativ ist. Insgesamt lässt sich somit feststellen, dass die Ergebnisse LGBTI-II-Befragung der FRA nicht die Lebenssituation von älteren Lesben* in der EU widerspiegeln. Zudem befinden unter jenen älteren Lesben*, die an der Befragung teilgenommen haben, größtenteils ökonomisch gut gestellte Frauen*. Da aus der Literatur bereits bekannt ist, dass ältere Lesben* überdurchschnittlich häufig von Altersarmut betroffen sind, ist die Repräsentativität der Stichprobe auch auf dieser Ebene nicht gegeben.
Auch aus den 15 qualitativen Interviews für das Projekt ging hervor, dass es innerhalb der EU nur vereinzelt Angebote gibt, die sich mit spezifischen Bedürfnissen von älteren Lesben* befassen. Auf die Frage nach den größten Herausforderungen, mit denen ältere Lesben* konfrontiert sind, nannten die Befragten ökonomische Probleme, insbesondere Schwierigkeiten bei der Bezahlung von Wohnraum, sowie Probleme im Zusammenhang mit dem allgemeinen Wohlbefinden wie Isolation und psychische Probleme. Die allgemeine Unsichtbarkeit älterer Lesben* in der Gesellschaft, in ihren Gemeinschaften und innerhalb der LGBTI-Gemeinschaft wurde in den Interviews häufig angesprochen. Viele ältere Lesben* sind mit Einsamkeit konfrontiert, sie fühlen sich mit anderen (heterosexuellen) Senior:innen nicht immer wohl – teils weil sie das Gefühl haben, nichts gemeinsam zu haben, teils weil sie Diskriminierung befürchten. Auch in den LGBTIQ- oder Lesben*szenen sind Räume für Seniorinnen nicht immer einladend.
Eine schwierige sozioökonomische Situation älterer Lesben* wirkt sich auf andere Aspekte ihres Lebens aus, beispielsweise auf ihre Lebensbedingungen, ihre Möglichkeiten, an Aktivitäten teilzunehmen und sich mit anderen auszutauschen.
Den Ergebnissen zufolge gibt es einen erheblichen Mangel an öffentlicher Repräsentation älterer Lesben*, in den Medien, in der allgemeinen Gesellschaft sowie in der breiteren LGBTI-Gemeinschaft. Dieser Mangel an Repräsentation wirkt sich negativ auf die Identität und darüber hinaus auf ihr Wohlbefinden aus.
Die meisten Befragten stimmten zu, dass es einen erheblichen Mangel an Informationen und Daten über das Leben von Lesben* im Allgemeinen und älteren Lesben* im Besonderen gibt. In den Ländern der EU-Mitgliedstaaten, die in der qualitativen Studie vertreten waren, fehlt es an Strategien, wie die angemessene Beachtung der Bedürfnisse von Lesben* im Seniorinnenalter gewährleistet werden kann, und an einer Professionalisierung, beispielsweise durch LGBTIQ-sensible Trainings im Rahmen der Pflegeausbildung.
Die Ergebnisse des Projekts wurden zunächst in einem wissenschaftlichen Forschungsbericht an die EL*C vermittelt, und daraufhin in einem weiteren Schritt in einem Policy Paper zusammengefasst. Dieses lässt sich unter folgendem Link abrufen: https://europeanlesbianconference.org/wp-content/uploads/2023/03/Making-the-Invisible-Visible-an-analysis-of-older-lesbians-lived-experiences_ELC-research.pdf
1 Die Bezeichnung Lesben* wird hier in Übereinstimmung mit der EL*C als Sammelbegriff LBTIQ Frauen* verwendet.