2011: Antisemitismus und Finanzkrise: eine Untersuchung österreichischer Printmedien


Projektleitung: Univ.-Prof. Dr. Frank Stern (Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien)


Durchführung: MMag.a Dr.in Karin Stögner
Mag.a Dr.in Karin Bischof
Mag.a Elke Rajal (AkademikerInnentrainee)


Finanzierung: Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank, Projekt Nr. 13549


Fertigstellung: Juli 2011


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Das Forschungsprojekt fokussierte auf die Berichterstattung über die Wirtschafts- und Finanzkrise in österreichischen Printmedien in den Jahren 2008-2010 unter dem Aspekt eines dabei transportierten Antisemitismus. Methodisch war das Projekt diskursanalytisch ausgerichtet.

Als ein wesentliches Ergebnis der Untersuchung lässt sich zunächst eine weitgehende Vermeidung antisemitischer Stereotype in der Behandlung der Thematik Finanz- und Wirtschaftskrise festhalten. Dies gilt für fast alle der untersuchten Printmedien (Der Standard, Die Presse, Kurier, profil, Format und News). In Anlehnung an Martin Reisigl und Ruth Wodak kann man hier von einem wirksamen „Tabu“ sprechen. Eine Ausnahme stellt allerdings die Neue Kronen Zeitung dar, in der sich sehr wohl manifeste antisemitische Äußerungsformen finden.

Der Fokus der Untersuchung lag einerseits auf einer genaueren Analyse der aufgefundenen antisemitischen Diskursstränge und ihrer Verortung in historischen und aktuellen Erscheinungsformen des Antisemitismus sowie der entsprechenden stereotypen Darstellungs- und Argumentationsmuster. Andererseits bezog sich das Erkenntnisinteresse aber auch auf jene Grauzonen, in denen die Wirksamkeit dieses „Tabus“ nachlässt bzw. schwindet.

Antisemitische Diskurselemente im Printmedienkorpus werden in einer Reihe von thematischen Konstellationen transportiert, welche traditionell mit dem Antisemitismus in Verbindung stehen, und sie finden sich vor allem innerhalb von Darstellungsformen der Finanz- und Wirtschaftskrise, welche die Krise als Konsequenz des Handelns bestimmter, teils kryptisch konstruierter Gruppen („Spekulanten“, „Hochfinanz“) bzw. als Konsequenz aus allgemeinem Moral- und Werteverlust sehen.

Vor allem dort, wo bestimmte Gruppen als Hauptschuldige ausgemacht („Hochfinanz“, „Kreise in Politik und Hochfinanz“, „Finanzhaie“, „Spekulanten“, „Zocker“) und im Rahmen von Bedrohungsszenarien einem homogen konstruierten Eigenen („Volk“) gegenübergestellt werden, wo deren Gier herausgestellt und zudem noch eine Schädigung des Eigenen durch dieses „(Volks)Fremde“ ausgemacht wird („Konzerne, Banken, Hochfinanz, schmarotzen an der Volkssubstanz“, Kronen Zeitung, 17.3.2010), manifestieren sich (alte) antisemitische Stereotype im Diskurs. Dabei gehen völkischer und nationalistischer Diskurs, eine dichotomisierende, stereotype Gegenüberstellung von Finanzsphäre und Produktionssphäre und Weltverschwörungsszenarien eine enge Verbindung ein. Mehrfach sind diese Gruppen auch jüdisch konnotiert und US-amerikanisch markiert (die „Federal Reserve … unter Führung der beiden Großfinanzgruppen Rothschild und Rockefeller“, Kronen Zeitung, 17.5.2009), wodurch die Themenkonstellation noch häufig um antiamerikanische Ressentiments ergänzt wird. Nicht selten wird diesen dem Eigenen gegenübergestellten „Fremdgruppen“ Gewalt und Verbrechen unterstellt. Auch zentrale Elemente des Post-Holocaust-Diskurses, insbesondere Strategien der Schuldumkehr im Rahmen einer spezifischen Konstruktion von Schuld und Verantwortung für die Wirtschafts- und Finanzkrise, sind ein mehrfach wiederkehrendes Moment in den untersuchten Texten. Ein weiterer Themenblock, vor dessen Hintergrund antisemitische Diskursstränge dechiffriert wurden, ist der breite Bereich der Globalisierungskritik, wobei hier jedoch vergleichsweise wenig ausgeprägte Beispiele zu finden waren.

Was die Fokussierung der Grauzonen betrifft, in denen die Vermeidungsstrategien antisemitischer Stereotype brüchig werden und das „Tabu“ schwindet, so zeigte sich Folgendes: Das „Tabu“ fällt – wie die Analyse einer Forumsdiskussion exemplarisch zeigt – dort, wo ein Jude Österreich kritisiert. Im Zusammenhang mit dem Motiv der Nestbeschmutzung finden sich nahezu alle Stufen und Schattierungen antisemitischer Äußerungsformen bis hin zur offenen Beschimpfung. Als eine Grauzone stellte sich schließlich die Thematik um die Betrugsvorwürfe an der Bankerin Sonja Kohn heraus. Entlang dieses thematischen Anknüpfungspunktes wird – einzigartig im Sample – Judentum und Jüdischsein explizit thematisiert, antisemitische Stereotype finden hier besonders über sexistische Stereotype Eingang in den Diskurs.