2005: Antisemitisch-misogyne Stereotype und deren Auswirkungen auf die Identität jüdischer Frauen in Österreich


Projektleitung: Univ.-Prof.in Dr.in Christine Goldberg


Durchführung: MMag.a Karin Stögner


Finanzierung: Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank, Projekt Nr. 10671


Fertigstellung: Juli 2005


Projektbericht zum Download


Gegenstand dieses Projekts ist das Ineinanderwirken von antisemitischen und misogynen Stereotypen auf gesellschaftlicher Ebene. Wenngleich es um die Auffindung von Affinitäten von Antisemitismus und Antifeminismus zu tun ist, werden beide jedoch nicht als identische Phänomene behandelt. Die Frage ist, wie die Diskriminierung von Juden/ Jüdinnen und so genannten “devianten” Frauen (Frauenrechtlerinnen, Feministinnen, emanzipierten und intellektuellen Frauen etc.) gesellschaftlich zusammenspielt, wie die diesbezüglichen Projektionen jeweils geartet sind, aus welchen unaufgearbeiteten psychischen, historischen und politisch-sozialen Reservoirs sie sich nähren und inwieweit sie funktional äquivalente Phäänomene sind.

Das Ineinanderwirken von antisemitischen und misogynen Stereotypen wird vor allem um die Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert virulent und schlägt sich in spezifisch vergeschlechtlichten Repräsentationen des “Jüdischen” nieder – in Bildern, denen eine projizierte Überschreitung der Geschlechtergrenzen inhärent ist: die “maskulinisierte Jüdin” und der “effeminierte Jude”. Der als abnormal imaginierte “jüdische Körper” wurde zum Ort der Inszenierung des “Anderen” schlechthin. Solche Projektionen der Zwischengeschlechtlichkeit treffen jedoch auch “deviante Frauen”, denen das Stereotyp des “Mannweibs” und der verschlingend-gefährlichen weiblichen Sexualität aufgeprägt wurde. Die Vorstellungen von der “sexuellen Frau”, die in der Männerwelt zugleich gehasst, gefürchtet und scheinbar unheimlich begehrt wird, wurde in den bildlichen und literarischen Darstellungen zumal im Fin de Siècle an alttestamentarischen Frauenfiguren festgemacht: an Judith, Salome und Dalila. Die weibliche Sexualität wurde angerufen, um sie gleichzeitig zu bannen.

Historisch-gesellschaftlicher Hintergrund dieser Repräsentationen ist vor allem die Gegnerschaft zur jüdischen und weiblichen Emanzipation. Dem Aufbrechen sozialer Ausschlussmechanismen, von denen Jüdinnen/ Juden und Frauen auf je verschiedene Weise die gesamte zivilisatorische Entwicklung der europäischen Gesellschaften hindurch betroffen waren, wurde ab der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts von Seiten der männlich und nicht-jüdisch bestimmten Mehrheitsgesellschaft mit der Rückbindung von Jüdinnen/ Juden und Frauen auf geschlechtsspezifische und rassistisch-antisemitische Konstruktionen geantwortet.Ihre durchdringende gesellschaftliche Wirkungsmacht erlangten diese neuen Ausschlussmechanismen durch ihre Verschmelzung zu widersprüchlichen Repräsentationen. Vorausgegangen war dem eine Entpersonalisierung sowohl von Jüdinnen/ Juden als auch von Frauen, von deren je eigentümlichen individuellen Eigenheiten abstrahiert wurde. Die solcherart entstandenen Figuren des “Juden”, der “Jüdin” und der “Frau” wurden zu RepräsentantInnen des “Anderen” schlechthin, zum absoluten Gegenprinzip des sich verhärtenden Kollektivs. Sie ließen sich je nach den Bedürfnissen der Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft nach Kompensation und Kanalisierung von Unlustgefühlen und verdrängten Triebregungen mit den widersprüchlichsten Gehalten füllen. Die Repräsentationen des “Jüdischen” und des “Weiblichen” sind denn auch nichts anderes als Produkte einer kollektiven Triebökonomie, deren pathische Züge unaufgearbeiteten Ängsten ebenso wie unbefriedigten Begierden geschuldet sind.

Auffallend ist, dass die nationalsozialistische Propaganda auf solche Jüdinnen-Bilder verzichtet. Die rassistische antisemitische Agitation richtete sich in der kollektiven Imagerie gegen den “männlichen Juden”. Grund dafür ist die repressive Integration der “Weiblichkeit” in die geschlossenen Herrschaftszusammenhänge, die alle ergreifen mussten. Niemand durfte mehr draußen stehen. Wer nicht integriert war, fiel der Vernichtung anheim. Die traditionelle Aufspaltung des “Weiblichen” einerseits in die “gute”, nährende, mütterliche, andererseits in die “böse”, verführerische, sinnlich-sexuelle Seite war der Nutzbarmachung von Frauenkörpern für die Reproduktion des “Volkskörpers” hinderlich, weshalb das Frauenbild von allen Momenten, die sich der Integration widersetzten, gereinigt wurde. Was blieb, war die unsinnliche Frau als saubere Kameradin des gestählten “Ariers”.

In der kollektiven Imagerie der deutschen und österreichischen Nachkriegsgesellschaften erfuhren die Jüdinnen-Bilder teilweise eine Wiederbelebung, wobei auch auf die Figuren des Fin de Siècle zurückgegriffen wurde. Der Bruch, den die Shoah in der kollektiven Bildproduktion darstellte, wurde zum Teil überbrückt. Jüdische Frauenfiguren wurden in den Dienst der seelischen Entlastung und der Schuldabwehr gestellt. Dass antisemitisch-misogyne Stereotype auch im sogenannten “Nachkriegsantisemitismus” zur Anwendung kommen, lässt darauf schließen, dass Antisemitismus und Misogynie gerade auch aus ihrem widersprüchlichen Ineinandergreifen gesellschaftliche Wirkungsmacht beziehen. Welch tiefgreifende Auswirkungen solche Anfeindungen auf die Selbstwahrnehmung jüdischer Frauen in Bezug auf ihr Jüdischsein und ihre Weiblichkeit haben, wird in einer Analyse narrativer Interviews erhellt.